Oticon „Opn“

Eine Produktpräsentation als Talkshow live aus dem Spiegel-TV-Gebäude, 33 Roadshows vor insgesamt über 1.500 Akustikern, eine begeisterte Belegschaft in der Hamburger Niederlassung und ein Produkt, das einen „technologischen Paradigmenwechsel“ einläutet – bei Oticon sieht man das neue Hörsystem „OpnTM“ als großen Sprung. Warum, das erklärten uns Produktmanagerin Dr. Birgitta Gabriel, Marketingleiterin Berna Weyer, Vertriebsleiter Wolfgang Weber und Geschäftsführer Torben Lindø. 

Veröffentlicht am 19 Juli 2016

Oticon „Opn“

Herr Lindø, auf der Oticon-Tour sagten Sie, Sie seien selten so begeistert gewesen, wenn ein neues Produkt anstand. Was begeistert Sie denn so an „OpnTM“?
Torben Lindø:Was ich seit einigen Jahren von Kunden höre ist, dass die Hörsysteme in der gesamten Branche immer vergleichbarer werden. Viele Hörakustiker fragen uns sogar, ob es überhaupt noch Weiterentwicklungen geben kann. Der Markt wartet also auf etwas Neues, den großen Sprung. Ich bin deshalb so begeistert, weil ich zu 100 Prozent überzeugt von dem bin, was die Hörakustiker ihren Kunden mit unserem neuen Produkt „Opn“ anbieten können. Denn „Opn“ macht den großen Sprung und bietet einen völlig anderen, neuen Ansatz. Die Reaktionen unserer Probanden schon in ersten internen Tests waren vielversprechend. Natürlich handelte es sich hierbei um ein kontrolliertes Setting. Noch wichtiger ist mir deshalb, was Hörakustiker und deren Kunden jetzt nach der Markteinführung sagen. Das erfahren wir im Moment täglich in unserer Kundenservice-Abteilung, denn dort laufen die Rückmeldungen von den ersten Anpassungen ein – und die sind genau so positiv, wie wir gehofft haben und damit eine schöne Bestätigung für unseren technologischen Paradigmenwechsel.

Søren Nielsen, der Präsident von Oticon, sagte im Vorfeld, dass „Opn“ sicherlich einiger Erklärungen bedürfte. Wie groß war bzw. ist der Erklärungsbedarf intern wie extern?
Torben Lindø: Wer Gewohnheiten oder Denkweisen verändert, muss sich immer erklären. Darum haben wir „Opn“ während unserer Oticon-Tour in 33 Städten ausführlich vorgestellt. Die Veränderungen sind aber gut und schnell nachvollziehbar. Nicht überraschend war auf der Oticon-Tour die meistgestellte Frage an uns, ob dieses Rundum-Hören dem Nutzer nicht „zu viel“ wird. Das konnten wir eindeutig mit Nein beantworten: Die Nutzer erleben weniger Höranstrengung, auch wenn sie mehr wahrnehmen als vorher, weil „Opn“ das natürliche Rundum-Hören nachahmt und damit so wie unser Gehirn arbeitet.
Birgitta Gabriel:Wir haben natürlich anfangs intern besprochen, wie wir die Sache mit den Grenzen der traditionellen Direktionalität am besten erklären könnten. Die Vorteile von „Opn“ wurden aber schnell erkannt, weil jeder Hörakustiker auch die Nachteile von konventionellen Richtmikrofonen kennt. Bei „Opn“ erfolgt alle 8 Millisekunden eine neue Gewichtung der Klangkulisse mit unendlich vielen Einstellungen. Unsere Kunden haben sofort gemerkt, dass das etwas Neues ist. Fragen gab es natürlich trotzdem, z.B. diese: „Woher weiß das Gerät, dass ich Musik hören möchte?“ oder „Woher weiß es, dass ich diesem oder jenem Sprecher zuhören möchte?“ Unsere Antwort ist: „Das weiß das Hörsystem nicht.“ Und genau das ist der Punkt. Die Entscheidung trifft das Gehirn, nicht das Gerät. „Opn“ macht das Angebot, und der Kunde entscheidet – wie ein Normalhörender. Und die Frage, ob das dem Kunden nicht zu viel wird oder ob „Opn“ auch etwas für Hörentwöhnte ist, können wir damit beantworten, dass wir nicht alles eins zu eins wie bei einem omnidirektionalen Mikrofon übertragen. Die Klangkulisse wird um diffusen Lärm bereinigt, laute Schallquellen werden im Pegel abgesenkt. So können die Nutzer, das zeigen Messungen aus Dänemark und Schweden, ohne jede Eingewöhnung schon einen Gewinn erzielen. Darum geht es ja auch bei BrainHearingTM: Jeden Kunden mit der Hörfähigkeit, die er individuell hat, optimal zu unterstützen.
Wolfgang Weber:Dass wir mit dem Thema „Sprache in Sprache in Lärm“ den Nerv der Zeit getroffen haben, zeigt das große Interesse an „Opn“. Wir hatten auf der Oticon-Tour über 1.500 Teilnehmer, die nach unserer dreistündigen Präsentation gut informiert und erwartungsvoll nach Hause gegangen sind. Diese Begeisterung der Kunden spiegelt sich in den Bestellungen bei uns wider.

Viele Akustiker arbeiten gerne mit einem Hörtraining. Wenn Sie sagen, Sie erzielten nun schon ohne jede Eingewöhnung einen Gewinn: Ist Hörtraining im Zusammenhang mit dem „Opn“ passé?
Torben Lindø: Das Hörtraining und die Feinanpassung werden nicht überflüssig. Wir können nur die erste Einstellung der „Opn“-Hörsysteme optimieren, der Akustiker erarbeitet wie bisher mit dem Endverbraucher die individuell bestmögliche Anpassung.

Muss „Opn“ binaural angepasst werden, damit es seine Wirkung voll entfalten kann, oder kann eine monaurale Versorgung schon reichen?
Birgitta Gabriel: Der OpenSound Navigator ist auch mit einem Gerät absolut wirksam. Bei zwei Geräten profitiert der Endkunde zusätzlich von der Spatial SoundTM LX Technologie, das heißt, er erlebt einen räumlichen Höreindruck.

In „Opn“ stecken mehr als zehn Jahre Forschung. Heißt das, der Gedanke, die Direktionalität würde mal an ihre Grenzen stoßen, kam bei Oticon schon vor über zehn Jahren auf?

Birgitta Gabriel:Das vielleicht nicht, aber auch vor zehn Jahren stand schon die Frage im Raum, wie das Problem mehrerer Gesprächspartner in lauter Umgebung lösbar wäre. Oticon verfolgte dabei verschiedene Ansätze, darunter auch die technologische Verbesserung der Richtmikrofone. Dieser Ansatz wurde aber nicht weiterverfolgt, weil er auf der Vorhersagbarkeit einer Situation basierte. Bei einer dynamischen Unterhaltung ist nicht vorhersagbar, was im nächsten Moment geschieht. Die Lösung war somit für uns ein System, das keine Vorhersage macht, sondern dem Nutzer die freie Wahl lässt, wem er zuhören möchte.
Wolfgang Weber:Um diese Lösung umzusetzen, war eine neue Chip-Generation mit einer extrem hohen Rechenleistung erforderlich. Mit dem neuen „Velox“-Chip steht diese Rechenleistung zur Verfügung.

Geht es bei diesem Konzept allein um Sprache?
Torben Lindø:Nein, das müssen wir ein bisschen differenzieren. Richtig ist, dass wir Sprache hervorheben möchten, und zwar nicht nur Sprache aus einer Richtung. „Opn“ unterscheidet aber auch zwischen diffusem Lärm, der stört, und Geräuschen, die zum Gesamtklangbild beitragen.
Birgitta Gabriel: Wenn ich im Park sitze, möchte ich ja neben dem Gesprächspartner auch den Park als solchen wahrnehmen. Das wollen auch die Kunden. Sie sagen: „Es ist alles da, aber es stört nicht.“ Das Hörsystem reduziert die 16 lautesten Schallquellen und bringt die Pegel der einzelnen Schallquellen in ein Verhältnis, das als natürlich wahrgenommen wird.
Wolfgang Weber:Die 16 lautesten Geräusche beziehen sich dabei auf eine Seite. Bei einer binauralen Versorgung geht es sogar um die 32 lautesten Geräusche.
Torben Lindø: Unsere Kernmotivation war es, neue Ansätze für das Problem der Sprache in Sprache in Lärm anzubieten. Wir erreichen das über den OpenSound NavigatorTM.

Wie arbeitet der OpenSound Navigator?
Birgitta Gabriel:Der OpenSound Navigator arbeitet mit einer präzisen Analyse, einer anschließenden Gewichtung von Pegeln und einer wirksamen und extrem schnellen Absenkung von diffusem Lärm zum Abschluss, das heißt, er nimmt das Grundrauschen raus. Das ist das Herz des „Opn“-Sounderlebnis’. Diese neue Technologie ersetzt bei uns Direktionalität und Lärm-Management, wie wir sie kennen.

Neben dem OpenSound Navigator wurde auf der Oticon-Tour auch die TwinLink-Technologie herausgestellt. Was ermöglicht die?
Torben Lindø:Bisher konnte nur eine Antenne, also eine Funktechnologie, in ein Hörsystem integriert werden. Wir bei Oticon haben uns seinerzeit für die NFMI-Technologie entschieden, weil nur sie die binaurale Signalverarbeitung ermöglicht, die die Grundlage für räumliches Hören ist. Mit der TwinLink-Technologie von „Opn“ können wir jetzt zusätzlich über 2,4 GHz Bluetooth Low Energy ohne Streamer die Wireless-Verbindung zu externen Geräten realisieren. Wir bieten jetzt also die Vorteile von zwei Funktechnologien in einem Hörsystem an, und dass bei einem geringen Stromverbrauch. Darauf haben die Hörakustiker gewartet.
Birgitta Gabriel:Um zwei Antennen in einem so kleinen Hörsystem unterzubringen, haben die Dänen wirklich gezaubert. Beim Streaming liegt der Stromverbrauch bei 3,3 mA, also deutlich unter der Leistung einer Zink-Luft-Batterie. Wir haben aber nicht nur einen geringeren Stromverbrauch, sondern auch eine besonders stabile Übertragung. Zudem liegt die Übertragungsrate bei 64 kbps pro Sekunde. Das ist einzigartig und man hört den Unterschied.

Mit der 2,4 GHz-Technologie ist das „Opn“ demnach auch „Made for iPhone“. Eine Android-Lösung kommt erst noch?

Birgitta Gabriel:Ja, „Opn“ ist „Made for iPhone“. Für Android wird es von uns Anfang 2017 den ConnectClip geben. Hier braucht man ein Zwischengerät, weil Android keine Audiodaten-Übertragung mit Bluetooth Low Energie anbietet. Mit der bereits verfügbaren Oticon ON App kann man aber sowohl über iPhone als auch viele Android-Smartphones die „Opn“-Hörsysteme schon fernsteuern.

Ein weiterer Punkt auf der Oticon-Tour war die Möglichkeit, Oticon Opn mit der Plattform IFTTT zu verbinden. Welche Möglichkeiten eröffnen sich hiermit?
Berna Weyer: Hier geht es um das „Internet der Dinge“. Ob die Türklingel, das Licht, der Rauchmelder oder was auch immer eine Bluetooth-Verbindung aufbauen kann – mit all diesen „Dingen“ kann man über sein Smartphone mit den Hörsystemen kommunizieren.
Birgitta Gabriel:IFTTT zu nutzen, ist ganz einfach. Dafür braucht man nur die ON App, verbunden mit dem Hörsystem. Das Smartphone ist praktisch der Router. Man registriert sich einmalig bei IFTTT (www.ifttt.com). Danach kann man gewisse „Trigger“ und Aktionen definieren. Ein Beispiel: Ich schalte die „Opn“-Hörsysteme stumm, ein, aus, um. Das sind dann Trigger. Und dann gibt es die daraus folgende Aktion wie z.B. wenn ich in das TV-Programm schalte, dimme das Licht ab. Es geht aber auch anders herum, z.B., wenn der Fernseher angeht, bitte in das Fernsehprogramm des Hörsystems wechseln. Horst Warncke hat sein Gerät zum Beispiel so konfiguriert, dass es ihn mit „Willkommen bei Oticon“ begrüßt, wenn er auf dem Firmenparkplatz ankommt.
Halten Sie IFTTT für bekannt?
Birgitta Gabriel:Von 1.500 Besuchern der Oticon Tour kannten erst einige IFTTT, und so wurde in der Pause der Veranstaltung reichlich darüber diskutiert, wie man die neuen Möglichkeiten gewinnbringend für den Träger nutzen kann. Den Akustikern war sofort klar, dass diese Anwendung schnell boomen wird – wie wir es beim Internet, Smartphone oder WhatsApp erlebt haben.
Berna Weyer:Ich glaube, dass das unter anderen Oberbegriffen wie „Smart Home“ und „Internet der Dinge“ bekannt ist. „Wearables“ wie eine Smart Watch gehören auch zum Internet der Dinge. Das wissen viele Träger vielleicht gar nicht. Bisher ging es beim Internet der Dinge viel um Unterhaltung. Das Smarte bei „Opn“ ist, dass wir etwas geschaffen haben, das wirklich zählt und Menschen hilft.

Wäre mit IFTTT auch Folgendes denkbar: Mein Sohn trägt Hörgeräte, die Batterien neigen sich dem Ende und das Gerät löst automatisch einen Bestellvorgang für Nachschub aus?

Birgitta Gabriel: Ja. Man könnte das so anlegen. Der Hinweis für Eltern, dass die Batterien erneuert werden müssen, ist natürlich für alle relevant. Ob und wann dadurch ein automatischer Bestellvorgang ausgelöst wird, können die Eltern mit dem Hörakustiker klären.

Durch die Verbindung mit dem Internet könnte „Opn“ zumindest theoretisch auch Ziel von Hacker-Angriffen werden, oder?
Berna Weyer: Als erstes muss man betonen, dass IFTTT optional ist. Als zweites gilt natürlich, dass die Sicherheit für „Opn“ genauso groß ist wie bei anderen Produkten.

Bei einigen Akustikern kam die Sorge auf, dass so auch Remote Fitting Einzug halten könnte …
Torben Lindø:Die Sorge ist unbegründet. Mit unserer Anpasssoftware Genie ist ein Remote Fitting weder für „Opn“ noch für die anderen Oticon-Hörsysteme vorgesehen und technisch auch gar nicht möglich.
Für welche Kunden eignet sich das „Opn“?
Birgitta Gabriel:Wir starten mit dem Ex-Hörer Mini Modell mit zwei bewährten MiniFit Ex-Hörern, dem 60er und 85er. Man braucht also nicht noch eine Plastikbox. Die Zahlen 60 und 85 bedeuten, dass eine Anpassung bis 60 bzw. 85 dB HL Hörminderung möglich ist. „Opn“ ist ein Gerät für Menschen jeden Alters. Unsere Probanden waren von 25 bis 80 Jahre alt.
Torben Lindø: Vor allem durch die geringere Höranstrengung ist es gerade auch ein Gerät für Kunden über 65 Jahre.

Welche Neuerungen gehen hier auch mit YouMatic einher?
Birgitta Gabriel: YouMatic bietet nach wie vor die Möglichkeit, Hörsysteme zu personalisieren. Bevor die Hörsysteme für den Nutzer eingestellt werden, empfehlen wir die Fragen bezüglich Hörvorlieben und Hörfähigkeiten – besonders mithilfe der Klangbeispiele – mit ihm durchzugehen. Wir haben dazu den Ablauf vereinfacht, indem der Hörakustiker die Klangbeispiele direkt anwählen kann. Bei „Opn“ personalisiert der Hörakustiker über YouMatic den OpenSound Navigator.
Wolfgang Weber:Wer mit Genie vertraut ist, kann auch mit Genie 2 umgehen. Es gibt das zusätzliche Menü für den OpenSound Navigator, aber die meisten Bedienoberflächen sind gleich geblieben. Man kann sofort starten.

Themenwechsel: Können Sie bestätigen, dass die William Demant Holding um AudioNova mitgeboten hat?
Torben Lindø: Ich bin in diesem Zusammenhang kein Insider und habe nicht alle Informationen. Aber es ist bei solchen Unternehmensverkäufen oft so, dass die größten und wichtigsten Marktteilnehmer darüber informiert und gezielt angefragt werden, ob es Interesse an einer Übernahme gibt. Dann werden die Interessenten eingeladen und man spricht über die Einzelheiten. Zu diesen Gesprächen wurde die William Demant Holding nach meiner Kenntnis nicht eingeladen.

Welche Konsequenzen ergeben sich für Oticon Deutschland durch die Übernahme von Geers durch Sonova?
Torben Lindø: In die Zukunft kann ja keiner sehen. Aber so wie ich gehört und gelesen habe, wird Sonova sich langfristig auf die eigenen Geräte konzentrieren und die Anwendung von Hörsystemen anderer Hersteller runterfahren. Bei Oticon gehen wir davon aus, dass auch unsere Geräte betroffen sein werden. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir dies durch einen Mehrverkauf an andere Akustiker kompensieren können – durch die Qualität und Attraktivität unserer Produkte und Dienstleistungen.

Frau Gabriel, Frau Weyer, Herr Lindø, Herr Weber, wir danken Ihnen für das Gespräch.