VARTA AG: „Wir investieren massiv und wachsen massiv“

Seit Oktober 2017 ist die VARTA AG zurück an der Börse und schreibt dabei deutsche Wirtschaftsgeschichte. Einst verkauft und zerschlagen, entzückt die VARTA AG heute nicht nur Investoren, sondern gilt nun auch als Hoffnungsträger für die Energiewende. 

Veröffentlicht am 24 September 2020

VARTA AG: „Wir investieren massiv und wachsen massiv“

Mit Forschungsgeldern und sensationellen Wachstumsperspektiven ausgestattet, investiert das schwäbische Traditionsunternehmen erneut. Und das mehr als kräftig. Audio Infos sprach direkt nach der jüngsten Grundsteinlegung in Nördlingen mit VARTA-CEO Herbert Schein und Torsten Schmerer, General Manager Business Unit Healthcare bei der Varta Microbattery GmbH.

Herr Schein, welch toller Tag für die VARTA. Glückwünsche zur Grundsteinlegung!
Herbert Schein: Vielen Dank!

Es ist ja atemberaubend zu beobachten, was hier rund um Ellwangen, Nördlingen und Dischingen entstanden ist. Unabhängig davon, dass Sie stets auf Ellwangen und die Region gesetzt haben, sehen Sie Grenzen für diesen Standort?
Herbert Schein: Wir haben immer großes Vertrauen in unsere Standorte gehabt und bauen diese derzeit massiv aus. Zusätzlich zu dem Neubau, der gerade nebenan entsteht, haben wir Produktionsgebäude von anderen Unternehmen angemietet. Insgesamt entsteht damit allein in Nördlingen eine Produktionsfläche von 60.000m2 für unsere Lithium-Ionen Zellen. Aber wir haben mit drei Bauprojekten auch an unserem Standort Ellwangen massiv erweitert. Neben einem 33 meterhohen Hochregallager haben wir dort eine Elektrodenfertigung aufgebaut, und die bestehende Produktion wurde ebenso vergrößert. Wir sind ein weltweit tätiges Unternehmen setzen aber auch in Zukunft mit unseren Hauptstandorten Ellwangen, Nördlingen und Dischingen weiterhin auf die Region.

Regional gesehen dürften Sie damit wohl der größte Arbeitgeber werden.
Herbert Schein: Das sind wir heute schon. Dennoch haben wir vor, unsere Mitarbeiterzahl hier am Standort Nördlingen in naher Zukunft zu verdoppeln.

Trotz Corona?
Herbert Schein: Wir sind sehr gut durch die Coronakrise gekommen. Wir haben im Unternehmen die ganze Zeit Abstands- und Hygieneregeln beherzigt und sind unseren Mitarbeiten sehr dankbar für ihre Disziplin bei der Einhaltung aller Maßnahmen. Dadurch konnten wir uneingeschränkt sieben Tage die Woche im Dreischichtbetrieb weiter produzieren.

Sie sprachen heute Morgen von einer erneuten Steigerung der Energiedichte ihrer Lithium-Ionen-Batterien von rund 30 Prozent.

Torsten Schmerer: Nun, bei solchen Aussagen sollte man sich stets den Anforderungskatalog einer Batterie vor Augen halten. Was die Energiedichte der Lithium-Ionen-Akkus im Allgemeinen betrifft, befinden wir uns ja schon auf einem sehr hohen Level. Darüber hinaus werden Lithium-Ionen-Batterien aber auf spezifische Anforderungen hin designed. Für Hörsysteme benötigen wiederaufladbare Batterien eine hohe Zyklenfestigkeit, die für Headsets etwa nicht in dem Maße erforderlich ist. Wenn für Batterien bestimmte Eigenschaften realisiert werden, müssen dafür oft Kompromisse bei anderen Kriterien in Kauf genommen werden. Aus diesem Grund ist ein Vergleich immer schwer. Wenn die Varta AG Energiedichtenerhöhungen ankündigt, dann sehen wir, dass sich über verbesserte Materialien, neue Produktionsverfahren sowie neue Prozesse neue Potentiale eröffnen. Die angekündigten 30 Prozent von heute Morgen sind Batterien, deren Energiedichte extrem erhöht werden kann. Weltweit gesehen ein einzigartiges Verfahren. Der Einsatzbereich bezieht sich jedoch auf besondere Anwendungen.

Die Hörsystemsparte gilt nach eigener Aussage als der Innovationstreiber des Unternehmens. Warum sind Hörsysteme aus batterietechnischer Sicht ausgerechnet so anspruchsvoll?
Torsten Schmerer: Verglichen mit Headsets etwa hat man in einem Hörsystem nur einen beschränkten Platz zur Verfügung. Demzufolge sind entsprechend kleine Energiespeicher gefordert. Für die Realisierung waren neue Maschinenkonzepte notwendig, die spezifisch für die Hörgeräte-Industrie eingesetzt werden. Viele Grenzen mussten überschritten werden, was zu neuen Maschinengenerationen geführt hat. Dies erweitert das Know-how im Bereich der Lithium-Ionen-Batterien generell.

An welchem Punkt ist die Lithium-Ionen-Zelle bei einem Hörsystem technisch gesehen als unumgänglich zu erachten?
Torsten Schmerer: Grundsätzlich gesprochen hängt alles von der Auslegung der Geräte ab. Dies erfolgt zumeist in kundenspezifischen Projekten. Wir greifen dabei die Wünsche unserer Kunden auf und setzen diese in spezifische Produktlösungen um. Heute existiert ein breites Portfolio, mit welchem alle derzeitigen Anforderungen in der Hörgeräte-Industrie erfüllt werden können.

Hörsystemhersteller berichten uns zunehmend, dass der Anteil der wiederaufladbaren Geräte rasant steigt. Teils hört man von 70% bis 80% aller verkauften Geräte im Zuzahlungsbereich. Können Sie das bestätigen und wie sieht es um die Zukunft der Zink-Luft Zelle denn heute aus?

Torsten Schmerer: Es ist ein wenig wie in der Elektromobilität, bei der man gern über hohe Wachstumsraten spricht. Aber da kommt das zum Tragen, was auch Herbert Schein heute Morgen gesagt hat: Der Wandel benötigt Zeit. Das ist bei Hörsystemen nicht anders. Steigerungszahlen von 70 bis 80 Prozent treffen weltweit gesehen daher vermutlich nicht zu. Da liegen wir eher bei 20 Prozent, von geografischen Besonderheiten abgesehen. Unseren internen Simulationen zu Folge wächst der Markt aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den kommenden Jahren, und dabei spielen Zink-Luft Batterien weiterhin eine wichtige Rolle.

Welche strategischen Ziele peilt VARTA nun an?
Herbert Schein: Wir werden unseren Wachstumskurs weiter beschleunigen. Bereits in den letzten Jahren sind wir jeweils um 20 bis 30 Prozent gewachsen, doch dieses Jahr werden wir noch schneller wachsen. Für 2020 rechnen wir mit einem organischen Umsatzwachstum, also ohne Zukäufe, um 50 Prozent. Die deutlichen Zuwächse sind vor allem auf die anhaltend hohe Nachfrage nach unseren Lithium-Ionen-Zellen zurückzuführen. Durch den zügigen Ausbau der Produktionskapazitäten konnten wir unseren Absatz deutlich erhöhen und erweitern nochmal massiv unsere Kapazitäten. Hinzu kommt noch das Wachstum durch VARTA Consumer, die wir Anfang des Jahres übernommen haben. Dabei haben wir die einmalige Chance genutzt, die beiden Unternehmen wieder unter dem Dach des VARTA AG Konzerns zu vereinen und damit zusammen zu führen, was zusammen gehört.

Inwiefern spielen die 300. Mio. Euro Fördermittel für VARTA da eine Rolle? 

Herbert Schein: Die Fördergelder, die wir im Rahmen des IPCEI* vom Bund und den Ländern Bayern und Baden-Württemberg erhalten haben, sind für den weiteren Ausbau der Lithium-Ionen-Technologie. Dabei wollen wir die Forschung und Entwicklung weiter forcieren und die Technologie auch auf größere Formate übertragen. Die Fördergelder helfen uns dabei, diesen Ausbau noch schneller voranzutreiben.

Das heißt, Sie beschäftigen sich mittlerweile auch mit größeren Batterieformaten?
Herbert Schein: Ja, wir wollen unsere erfolgreiche Lithium-Ionen-Technologie jetzt auch auf größere Formate übertragen und bauen dafür eine Pilotlinie auf. Wir haben eine neuartige Technologie entwickelt, die MPC-Technologie. Sie hat den großen Vorteil, dass sie einen niedrigeren Innenwiderstand in der Zelle aufweist. Dadurch können die Batterien schneller geladen werden und eine höhere Leistung erbringen. Diese können dann in Zukunft unter anderem in Robotern, fahrerlosen Transportsystemen, Varta Energiespeichern und weiteren Bereichen eingesetzt werden.

Kann man sagen, dass die Batteriezelle an sich als formbestimmende Komponente eines Produktes angesehen werden kann?
Herbert Schein: Die Knopfzelle ist an sich die geeignetste Form für Headsets, wiederaufladbare Hörsysteme, viele IOT-Anwendungen, für Brillen oder medizinische Geräte, die man künftig am Körper trägt. Und allein der Markt für Hearables ist riesig: So werden derzeit jährlich knapp 1,8 Milliarden Smartphones verkauft. Wenn sich nur jeder zweite schnurlose Kopfhörer dazu kauft, dann wäre der dazugehörige Batteriemarkt genauso groß, wie der von Smartphones, weil man Kopfhörer immer paarweise kauft. Sie sehen, der Markt wächst sehr schnell mit Wachstumsraten von rund 30 Prozent jährlich. Wir sind der führende Anbieter und aus diesem Grund werden wir die Produktionskapazitäten noch massiver ausbauen und zudem die dazugehörige Technologie weiter verbessern, indem wir die Energiedichten weiter erhöhen.

Inwiefern profitiert die Hörsystemsparte dabei?
Torsten Schmerer: Die Förderung, die wir heute hier erhalten haben, geschah aus europäischem Interesse heraus und erfolgt projektorientiert, um einen fairen Technologiewettbewerb mit Asien zu ermöglichen. Die Hörgerätebatteriensparte profitiert von den Zuwendungen indirekt: Eine Verbesserung der Technologie kommt auch unserem Produktbereich zu Gute. Wie so etwas laufen kann, sieht man am Li-Ion accu 60, der praktisch einer 312+ Batterie entspricht. Hier konnte die Kapazität von 14 mAh auf heute knapp 21 mAh gesteigert werden. Das ist der weltweite Benchmark.

Sehen Sie, was den Vertriebsweg der VARTA Consumer angeht, hier Synergien zu den Hörgerätebatterien?

Herbert Schein: Die Varta ist heute bei Haushaltsbatterien vor allem in Europa sehr gut positioniert. Wir sind in vielen Ländern ein Marktführer, in einigen europäischen Ländern sogar mit Abstand der Marktführer.
Torsten Schmerer: Es sind jedoch unterschiedliche Business Units, die unabhängig voneinander gemanagt werden. Wir werden auch künftig keine power one Batterien über unseren Consumer-Kanal vertreiben. Wir waren immer diejenigen, die den professionellen Verkaufskanal über den Akustiker geschützt haben. Die Synergie im weitesten Sinne besteht erst einmal in dem Punkt der individuellen und unabhängigen Energieversorgung. Und das mit höchster Qualität und Sicherheit.

Im vergangenen Jahr haben Sie VARTA Evolution gelauncht. Wie kommt diese im Markt an und ist Varta Evolution mittlerweile auch auf dem deutschen Markt verfügbar?
Torsten Schmerer: Mit Evolution haben wir erneut bewiesen, welches Potenzial noch im Zink-Luft-Bereich steckt. Die dort eingesetzte Verschlusstechnologie hat uns vor große Herausforderungen gestellt, und es dauerte Jahre, bis wir Evolution in Masse produzieren konnten. Sie ermöglicht jedoch eine deutlich höhere Kapazität, da auf diese Weise viel mehr aktives Material untergebracht werden kann. Das hat mit der gespritzten Dichtungstechnologie, die wir bis dahin verwendet haben, nichts mehr zu tun und ist daher zwar in der Produktion technologisch gesehen wesentlich anspruchsvoller, die Produktleistung steigt aber zu Gunsten des Anwenders. Nachdem wir die Technologie sehr erfolgreich in den USA als für den Kunden spezifizierte Zellen verkauft haben, werden wir die power one Evolution zum Jahresende über unser Vertriebssystem weltweit anbieten.

Enthalten die verschiedenen Marken, die sie in den Markt bringen, allgemeinhin unterschiedliche Energiedichten?
Torsten Schmerer: Ja, die gibt es durchaus. Zum Beispiel in Japan. Für Großkunden produzieren wir hier spezifische Batterien mit entsprechenden Eigenschaften im Auftrag. Unsere höchsten Anforderungen erfüllt aber immer auch die power one Batterie. Da steckt das drin, was wir an Power zu bieten haben. Und damit wurden wir auch 2018 bei Stiftung Warentest Testsieger.

Andere Batteriehersteller bieten Hörakustikern zahlreiche Marketingunterstützung an.
Was bietet VARTA diesbezüglich?
Torsten Schmerer: Was das Marketing betrifft, so gehen wir dazu über, immer mehr digitale Unterstützung anzubieten. Denn wir sehen einen gewissen Aufklärungsbedarf, da sich bestimmte Fragen wiederholen. Aus diesem Grund haben wir den power one Kanal auf YouTube aufgebaut. Dort erklären wir bestimmte Techniken, die in Produkten zum Einsatz kommen, oder zeigen die richtige Handhabung von Batterien.

Existiert darüber hinaus eine direkte Zusammenarbeit mit Hörakustikern und Einkaufsgemeinschaften?
Torsten Schmerer: In aller Regel arbeiten wir aus Vertriebsgründen mit Distributionspartnern oder mit Hörgeräteherstellern zusammen, die in einem sehr engen Kontakt mit den Einkaufsgemeinschaften stehen. Mit Einkaufsgemeinschaften selbst haben wir nahezu keinen Kontakt. Das gilt derzeit ebenso für Hörakustiker. Aber gerade deswegen ist die Industrieausstellung auf dem EUHA-Kongress so wichtig für uns, da es eine der wenigen Möglichkeiten im Jahr ist, mit Hör- akustikern den Austausch zu suchen. power one ist die Marke für den Hörakustiker und denen wollen wir als Partner eng zur Seite stehen.

Kommen wir zur Börsenentwicklung des Unternehmens. Haben Sie diese Entwicklung erwartet?

Herbert Schein: Die Kursentwicklung der VARTA-Aktie zeigt, dass die Investoren in die langfristige Wachstumsstrategie der VARTA AG vertrauen. Wir haben in den letzten Jahren die richtigen Weichen gestellt, viel in Forschung und Entwicklung investiert und auf die richtigen Technologien gesetzt. Das spiegelt sich im Aktienkurs wieder, der Anfang 2019 bei rund 25 Euro lag und sich seither ungefähr vervierfacht hat.

Eine letzte Frage. Sie gelten als einer der wenigen CEOs, der auch eine entsprechende Ausbildung in seinem Fachgebiet besitzt. Inwiefern hat sich Ihre Rolle als CEO der VARTA AG verändert?
Herbert Schein: Ich bin damals als CEO angetreten mit der Mission, das Unternehmen wieder zusammenzuführen und die VARTA groß und stark zu machen. Hier haben wir schon beachtliche Erfolge erzielt. So haben wir es geschafft, den Konzern in ein Technologieunternehmen umzuwandeln. Dafür haben wir viel in Forschung und Entwicklung investiert. Heute verfügen wir nicht nur über ein tiefes Know-how in der Elektrochemie, sondern können dieses auch mit einer exzellenten Maschinen- und Prozesstechnologie kombinieren, und damit unsere innovative Technologie zügig in eine profitable Massenproduktion überführen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Das haben wir bei den Zink-Luft-Batterien für Hörgeräte gezeigt sowie bei den kleinen Lithium-Ionen Zellen. Dieses Erfolgsrezept werden wir nun erneut auf weitere Geschäftsbereiche übertragen.

Herr Schein, Herr Schmerer, wir bedanken uns für das Gespräch!

* IPCEI = Important Projects of Common European Interest