Carsten Braun: „So nah an der Wirklichkeit wie es nur geht"

Im März begab sich ein Expertenteam von Bernafon auf Anpasstour. Zehn deutsche Städte besuchte die Truppe um den audiologischen Leiter Carsten Braun. Vor Ort stellte sie den Besuchern mit einem Vortrag und verschiedenen Workshops das neue Highlight des Herstellers vor: die „Viron“-Produktfamilie. 

Veröffentlicht am 14 Mai 2019

Carsten Braun: „So nah an der Wirklichkeit wie es nur geht”

Das Interesse war nicht nur in Hamburg groß. Carsten Braun ist guter Dinge. Zusammen mit seinen Kollegen Sebastian Wiesner, Waldemar Grünemayer, Martina Krüger und Stephanie Heinz steht er an einem Freitagnachmittag im März in einem Seminarraum des Radison Blu Hotels in Hamburg vor rund 40 Hörakustikern. Die Plätze für den Stopp der Bernafon Anpasstour in Hamburg sind also ausgebucht – sogar überbucht.
Dass heute so viele dabei sind, „macht uns wahnsinnig stolz“, sagt der Leiter der Audiologie bei Bernafon in Berlin. Damit auch wirklich keine Frage unbeantwortet bleiben wird, sind, neben Brauns Kollegen aus den Bereichen Produkt- und Softwaretraining, Vertrieb und Marketing, zwei weitere Kollegen mit von der Partie: Bernhard Künzle  aus dem Bernafon-Hauptquartier in Bern, der maßgeblich an der Entwicklung des neuen Dynamic Feedback Cancellers beteiligt war, sowie Dieter Barthel vom Messtechnik-Hersteller Diatec, der, wie Bernafon, zum Demant-Konzern gehört. Beide begleiten, sozusagen als Co-Referenten, je einen der drei Workshops.

Anlass der Anpasstour 2019 ist „Viron“, die neue Produktfamilie von Bernafon, seit dem 1. April in den Leistungsklassen 9, 7 und 5 verfügbar und natürlich mit Neuheiten gespickt. Doch bevor die drei Workshops beginnen, bei denen man nicht nur einige der Neuheiten genauer kennenlernen, sondern auch, wie immer bei Bernafon, selbst Hand anlegen wird, eröffnet Carsten Braun die Veranstaltung mit einem kurzen Vortrag über die „Viron“-Familie.

„Was mich besonders freut, ist, dass auch die neuen Geräte der Bernafon-Philosophie folgen“, sagt Carsten Braun. Die sei ja „immer etwas anders“. Er meint damit das audiologische Verständnis etwa für die Verarbeitung akustischer Szenerien und Umgebungen. „Audiologisch betrachten wir die Dinge immer etwas anders“, betont Carsten Braun. Und eben das mache Bernafon besonders.
Die Philosophie, von der er spricht, zieht sich schon lange durch die Produkte von Bernafon. Man denke etwa an die ChannelFree-Technologie, die darauf verzichtet, eingehende Signale für die Verarbeitung in starre Kanäle aufzuteilen. Das Live Musik Programm oder die Frequency Composition folgten der Bernafon Philosophie, die immer für ein möglichst natürliches Klangerlebnis sorgen soll  – genau wie das vor etwa anderthalb Jahren eingeführte Dynamic Environment Control System (DECS). Mit dem werden akustische Szenen und Umgebungen nicht in vorab definierte Umgebungsklassifizierungen eingeteilt, erklärt Carsten Braun. „Wir glauben nicht daran, dass man die akustischen Umgebungen unserer Kunden in vorher definierte Muster pressen kann“, sagt er. Zumal: Wie viele Hörsituationen wären dafür ausreichend?

Die „Viron“-Hörsysteme beschreiten diesen Weg nun weiter – und setzten dabei erneut einen „Meilenstein in der Signalverarbeitung“, sagt Carsten Braun. Das den Nutzern gebotene Signal bleibe nun „so nah an der Wirklichkeit, wie es nur geht“. Basis der „Viron“-Hörsysteme ist der neu konzipierte Chip, der leistungsstärkste in der Geschichte von Bernafon.

Er analysiert bis zu 32.000 Datenpunkte pro Sekunde und kann die Verstärkung bis zu 20.000 Mal in der Sekunde anpassen. Mit den neuen  Rechenkapazitäten präsentiert Bernafon das weltweit erste Hörgerät mit True Environment Processing, das für eine extrem schnelle Signalverarbeitung sorge. „Aufnahme und Abgabe erfolgen in Echtzeit“, betont Carsten Braun. Auf Klassifizierungen der akustischen Umgebungen wird freilich weiterhin verzichtet. Schließlich könne sich diese binnen des Bruchteils einer Sekunde ändern. Eine Kopfdrehung reiche, und die Umgebungsklassifizierung ziele in die Vergangenheit. „Das ist wie in der Fotografie“, sagt Carsten Braun. „Ist die Belichtungszeit zu lang oder zu kurz, wird nicht alles aus der Umgebung erfasst und dass Bild muss nachbearbeitet werden. Das ist nicht Echtzeit.“

Die „Viron“-Hörsysteme erfassten hingegen „alle noch so kleinen und subtilen akustischen Details“ und liefern diese entsprechend des Hörverlustes aufbereitet an den Träger. „Das ist wichtig, weil nur so die Authentizität, die Stimmung der akustischen Umgebung bewahrt und überliefert wird“, erklärt Carsten Braun. Diese unverfälschten Klangerlebnisse sollen den Trägern helfen, sich auf das konzentrieren zu können, was wirklich wichtig ist: die Gesprächspartner und die Szenerie.

Basis dafür bleibt weiterhin die DECS-Technologie. „Die können wir nicht mehr besser machen“, sagt Carsten Braun. Aber man könne die Daten, die in DECS einfließen, noch mal präziser und schneller gestalten. Nach dem Vortrag beginnen an den drei im Raum verteilten Stationen die weiteren Vorträge und Workshops. An der Station von Carsten Braun und Bernhard Künzle wird unter anderem der neue Dynamic Feedback Canceller (DFC) der „Viron“-Systeme vorgestellt. Zehn Mal schneller als der bisher verfügbare Adaptive Feedback Canceller (AFC) könne der neue DFC mit bis zu 126.000 Messungen pro Sekunde Rückkopplungen erfassen und diese binnen weniger Millisekunden mit geringem Energieaufwand eliminieren. Besonders in Momenten, in denen sich die akustische Situation rasant ändert, sorge das für entscheidende Verbesserungen. Adaptive Systeme seien da bisher noch etwas träge gewesen bzw. hätte sich deren Einwirken auf die Signalverarbeitung und damit auf die Klangeigenschaften ausgewirkt. Der DFC bewahre nun „einen vollen, reinen Klang, während gleichzeitig auch in dynamischen Situationen Feedback verhindert wird“, sagt Carsten Braun.
Zudem erhalte man in der neuen „Oasis 19.1“ dank des DFC eine „deutlich höhere Rückkopplungsreserve“ und könne mehr Verstärkung geben. Außerdem hätten Probanden das neue System mit seiner größeren Leistung als „deutlich störungsfreier und angenehmer“ empfunden. Darüber hinaus minimiere der DFC auch bei offenen Anpassungen das Risiko für Rückkopplungen. „Und was uns besonders stolz macht: der DFC ist eine weitere Innovation in der langen Reihe an wegweisenden Technologien, die aus Bern kommen“, so Carsten Braun.

An der zweiten Station empfangen Sebastian Wiesner und Dieter Barthel. Letzterer gibt einen Überblick über die Angebote von Interacoustics, Maico und MedRX, die sich zusammen unter dem Dach von Diatec befinden. Sebastian Wiesner wiederum wartet mit Wissen und Tipps für die Anpassung der „Viron“-Systeme sowie für nützliche Messungen auf. So weist der Teamleiter des Produkttrainer-Teams darauf hin, bei der Anpassung nicht zu vergessen, weswegen Kunden eigentlich  zum Hörakustiker kommen. Denen geht es wahrscheinlich darum, Sprache auch in geräuschvoller Umgebung zu verstehen. Darum, so Wiesner, sollte man darauf achten, das Sprachverstehen in Ruhe in so viele Situationen wie nur möglich zu übertragen. Und vor allem im Vorfeld Messungen durchzuführen, die Sprache im Störgeräusch abbildet. Hierfür empfiehlt er unter anderem, den Acceptable Noise Level (ANL) eines Kunden zu ermitteln, um zu herauszufinden, mit welchem Maß an Nebengeräuschen er sich wohlfühlt und weiterhin Sprache verstehen kann. Auch das SNR-basierte Feature „Übergangspegel“ in Viron könne man so besser voreinstellen, erklärt Wiesner. Zwei bis drei Minuten brauche man für den Test, gut investierte Zeit. Auch Tipps für die Anpassung der „Viron“-Systeme bei sensiblen bzw. weniger sensiblen Kunden gibt Sebastian Wiesner. Und natürlich stellt er die Neuerungen in der „Oasis 19.1“ vor.

An der Station von Waldemar Grünemayer erfährt man schließlich alles über das „Viron miniRITE T R“. Wie bei anderen Herstellern steht das R für „rechargeable“. Das Gerät ist dank eines Lithium Ionen-Akkus also wiederaufladbar. Eine komplette Ladung des Akkus, die Energie für den ganzen Tag inklusive Streaming liefert, brauche drei Stunden, erklärt Grünemayer. Lade man den Akku nur eine Stunde, erhalte man Energie für einen halben Tag, mit 30 Minuten komme man noch auf Energie für einen viertel Tag. Geladen werden die Geräte induktiv in der mitgelieferten Ladestation, die man per USB 2.0-Anschluss an nahezu jede USB-Stromquelle anschließen kann. Steckt man die Geräte in die Ladestation, schalten sie sich von alleine aus, zieht man sie wieder heraus, schalten sie sich von selbst ein, eine simple Plug-and-Play-Lösung also. Eine LED gibt außerdem Aufschluss über den Ladezustand.

Anders als bei anderen Herstellern ist der Akku im „Viron miniRITE T R“ jedoch nicht fest verbaut. Als Akustiker kann man ihn, sollte er zu schwächeln beginnen, austauschen – und das in kurzer Zeit. Mit einem Spezialwerkzeug kann man die Hörsysteme öffnen, den Akku herausnehmen und einen neuen einsetzen. Nach zweieinhalb oder drei Jahren könnte es soweit sein, meint Waldemar Grünemayer. Genauen Aufschluss darüber gibt die „Oasis 19.1“. Ein neuer Reiter führt zum Akku-Menü, in dem nicht nur der aktuelle Ladezustand angegeben wird, sondern auch die generelle Kapazität. Ist die unter 85 Prozent gefallen, erklärt Grünemayer, sei es Zeit, den Akku auszutauschen. Damit bleibe, erklärt der Produkt- und Softwaretrainer im Gebiet Nordost, auch bei Geräten mit Akku-Technologie noch ein Stück Kompetenz im Fachgeschäft.

Der aktuelle Ladestatus des Akkus lässt sich darüber hinaus auch in der aktualisierten Version der Bernafon App ablesen, so dass der Nutzer selbst sehen kann, wie viel Energie noch übrig ist. Verfügbar ist die wiederaufladbare Variante des „Viron“ in allen drei vorhandenen Technologiestufen. Nach etwa dreieinhalb Stunden haben die Teilnehmer jede der drei Stationen erlebt, jede Menge Neuheiten erfahren und Tipps für die Praxis mitgenommen. Man blickt in zufriedene Gesichter sowohl bei den Akustikern als auch bei Gebietsverkaufsleiterin Martina Krüger, Carsten Braun und seinem Team. Der Termin in Hamburg ist der letzte der Anpasstour. Noch eine gute Woche, dann ist der erste April und die „Viron“-Systeme werden ausgeliefert. Mit einem Aprilscherz haben die sicherlich nichts zu tun.