Benjamin Schadow im Gespräch: „Der Mensch ist mehr als nur Restvolumen“

Zum bereits elften Mal hat der Batterie-Hersteller Rayovac zusammen mit der Audio Infos, der EIHMA und dem EFHOH 2018 den europaweiten Wettbewerb um den Titel des „Audiologist of the Year” veranstaltet. Gewonnen hat ihn dieses Mal Benjamin Schadow, Inhaber des Fachgeschäftes Hörstil. 

Veröffentlicht am 22 Februar 2019

Benjamin Schadow im Gespräch: „Der Mensch ist mehr als nur Restvolumen“

Was steckt hinter dem jungen Betrieb in Erfurt, der erst 2014 gegründet wurde? Wir fragten nach.

Herr Schadow, Glückwunsch zum Gewinn des Wettbewerbs „Audiologist of the Year“. Was hat Sie dazu bewegt, an dem Wettbewerb teilzunehmen?
Der Grund war ursprünglich eine ganz einfache Motivation: Ich wollte nichts anderes als meinen Horizont erweitern und suchte zu Beginn nach Inspiration. Was machen die richtig guten Hörakustiker in unserer Branche anders? Was kann ich von denen lernen? Denn eines ist für mich gewiss: Es gibt immer etwas, was man noch besser machen kann. Also habe ich mich aus Neugier auf Internetrecherche begeben.

Sie kannten aber den Wettbewerb?
Nein, das kam erst mit der Recherche. Der Gedanke, auch einmal zu diesen ausgezeichneten Persönlichkeiten zu gehören, reizte mich aber auf Anhieb. Nachdem ich mir die Kriterien angeschaut hatte, kam ich zu dem Entschluss, dass wir einige Kunden haben, bei denen wir genau das umgesetzt hatten, was von der Jury gefordert und ausgezeichnet wird. Das hat uns im Betrieb dann auch dazu bewogen, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Sofern die Qualität unserer Arbeit gut ist, waren wir der Meinung, dass unsere Kunden diese Arbeit auf sich nehmen und uns auch nominieren würden.

Wie viel Mühe hat es gemacht, hierfür Kunden zu gewinnen?
Im Prinzip war es der angenehmste Zeitraum während des gesamten Prozesses. Wir waren erstaunt, mit welcher Aktivität sich unsere Kunden gemeldet haben. Zum Teil präsentierten sie uns im Nachhinein ihre Einsendungen. Allein das zu lesen, war richtig Sahne. Auf diese Weise konnte man die gesamte Kundengeschichte noch einmal Revue passieren lassen. Wie dankbar Kunden sind, beeindruckte mich doch sehr.

Hat Sie es überrascht, dass ausgerechnet diese Kundenzusendung prämiert worden ist?
Auch wenn ich zunächst an jemand völlig anders gedacht hatte, wundert es mich im Nachhinein nicht. Von all den Einsendungen, die wir von unseren Kunden erhielten, hat dieser sprichwörtliche Aufsatz am meisten herausgearbeitet, dass wir diesen Titel verdient haben. Es waren viele Einsendungen dabei, die in eine ähnliche Richtung gingen. Die Jury entschloss sich nach Abwägung aller Bewertungskriterien aber für die Einsendung von Karla Rudloff. Wir selbst sind jedoch zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass wir den Preis gewinnen könnten. Dafür gibt es einfach zu viele hervorragende Akustiker in diesem Land, schon gar im Hinblick auf Europa. Als wir dann den Anruf und die Gratulationen erhielten, da ist mir zunächst einmal die Spucke weggeblieben. Uns war zwar schon bewusst, dass sich unsere Kunden für uns ins Zeug legen würden. Dass das jedoch tatsächlich ausreicht, um die Jury zu überzeugen, damit habe ich nicht wirklich gerechnet.

Unterschätzt man manchmal die eigene Leistung, die man tagtäglich an Kunden erbringt?
Absolut. Ein Kriterium des Preises besteht ja in dem „Change life to the better“, also Dingen, die das Leben nachhaltig beeinflussen. Denn im Endeffekt setzen Menschen ein Hörsystem ins Ohr und nutzen es bestenfalls den ganzen Tag. Das bedeutet, dass meine Arbeit die Sinnesqualität unserer Kunden nicht nur für den Tag beeinflusst, sondern für das restliche Leben. Das ist mir durch den Wettbewerb tatsächlich bewusst worden: Wie einschneidend unsere Arbeit auf die Lebensführung und Lebensqualität sein kann.

 

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Hörstil?
Hörstil ist 2014 nach einem sehr langen Denkprozess entstanden. Meine Frau und ich haben das Unternehmen aufgebaut, um endlich nach unserem Stil arbeiten zu können. Die Marke Hörstil befindet sich seither in ständiger Wandlung. Damals sollte sie transportieren, dass wir Dinge besser machen als der Branchendurchschnitt. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber der Begriff Hörstil soll den Anspruch darstellen, den die Kunden an uns haben dürfen, und er stellt zugleich den Anspruch dar, den wir uns selbst setzen. Wir haben einen eigenen Stil und wollten unsere Handschrift voll einbringen. Deswegen haben wir den Claim „Anspruch ist hörbar“. Und das macht einen hörbaren Unterschied. Mittlerweile steht die Marke Hörstil aber ein Stück weit auch für Lifestyle. Sie soll zeigen, was wir mit der zur Verfügung stehenden Technik und mit Innovation alles machen können.

Welche Rolle spielt dabei die Technik?
Die Technik ist das Vehikel, um ein adäquates Ergebnis zu erzielen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Symbiose aus Mensch und Technik bestmöglich hinzubekommen. Es muss gefühlt zu einer Verschmelzung beider Komponenten kommen. Der Mensch ist mehr als nur Restvolumen. Wenn wir es schaffen, Geräte so zu bauen und so zu programmieren, dass der Kunde dieses nicht mehr als Fremdkörper und Hilfsmittel wahrnimmt, sondern sich diese nahtlos in den natürlichen Hörprozess integrieren lassen, wird man eine nachhaltige Verbesserung beim Kunden erreichen können. Erst dann haben wir unsere Arbeit richtig gemacht, da dies auch der Punkt ist, an dem Kunden beginnen, das Gerät dauerhaft und gerne zu tragen.

Worauf sollten Hörakustiker im Umgang mit dem Kunden besonders achten?
Das Wichtigste ist tatsächlich der Prozess am Anfang, sprich die Planung. Und da spielt aus meiner Sicht eine große Rolle, selbst auch mal die Klappe zu halten und nicht gleich fertige Lösungen zu präsentieren. Die Grundlage sollte vielmehr der Wunsch und der Gedanke des Kunden sein. Es geht darum, den Kunden zu verstehen. Wie ist eine Person in seinem sozialen Umfeld integriert? Worin liegt seine Motivation und was möchte er wirklich? Erst wenn ich das verstanden habe, kann ich mit dem Kunden zusammen einen vernünftigen Plan auf den Weg bringen und das Ziel realisieren, das perfekte Gerät mit einer perfekten Einstellung an den Kunden abzugeben, so dass er es ganzjährig trägt. Doch dafür muss ich wissen, was den Kunden wirklich bewegt.

Wie schaffen Sie es dabei, dass der Kunde gleich mitgeht?
Aufklärung spielt schon eine große Rolle. Und wir machen gute Erfahrungen damit, das Kind durchaus beim Namen zu nennen. Konkret und in einfachen Worten. Zudem sollte der Kunden stets das Gefühl haben, dass Ohren und Gehirn in Bezug auf den Hörverlust perfekt aufeinander abgestimmt sind. Auch wenn wir das durch das Hörsystem zunächst durcheinanderbringen, muss der Kunde wissen, dass auch wieder eine neue Abstimmung stattfinden kann. Das ist aber ein Prozess und hat mit Lernen zu tun.

Bieten Sie Ihren Kunden für diesen Prozess verschiedene Wege an?
Wir vermitteln dem Kunden durchaus, dass man diesen Prozess unterschiedlich angehen kann. Möchte er eine schnelle und harte Anpassung? Oder möchte er sanft vorgehen? Das kommt auf den Kundentypen an. Ich bin der Auffassung, dass der Kunde schon die Freiheit haben sollte zu entscheiden, welcher der richtige Weg für ihn ist. Ich finde sogar, der Kunde hat das Recht dazu. Ich lasse daher meistens beide Wege offen.

Was bedeutet das in Bezug auf die Anpassung?
Aus meiner Sicht gibt es nicht den einen Weg. Die Tendenz ist aber tatsächlich die, dass wir die Einstellungen naturbelassener vornehmen, mit wenig Kompression arbeiten und adaptive Funktionen sparsam einsetzen. Da spielen natürlich die verschiedenen Anpassstrategien, die wir verwenden, eine größere Rolle. Aber es ist ganz selten der Fall, dass wir die Intensität, die die Hersteller in ihren First Fits vorschlagen, wirklich so belassen. Wir fahren da eher zurück und versuchen, durch eine transparente Kommunikation dem Kunden die Möglichkeit zu geben, selbst zu entscheiden, wo sie hinhören und was sie herausfiltern wollen. Ganz häufig erleben wir dabei, dass die Kunden tendenziell eine naturbelassene Einstellung bevorzugen. Aus diesem Grund nutzen wir auch eine Anzahl verschiedener Tools, um den Prozess schneller einengen zu können, wie etwa Hörsystemsimulatoren (Klangfinder). Entsprechend erhält der Kunde eine konkrete Empfehlung von uns. Vielleicht auch eine Alternative. Dann erfolgt die Akklimatisierung. Sollten wir uns nicht grob geirrt, gut aufgepasst und geplant haben, kann man auch einen Prozess effizient zu Ende bringen. Der Kunde hatte trotzdem die Möglichkeit, das Hörsystem intensiv kennenzulernen. Wir dehnen aber den Anpassungszeitraum nicht künstlich aus. Und ehrlich gesagt weiß der Kunde doch schon nach ein paar Tagen, ob ein Hörsystem wirklich passt.

 

Was hat Sie dazu animiert, Hörstil in einer Wohngegend zu eröffnen?
Als meine Frau und ich unseren Traum Hörstil angingen, suchten wir einen schönen und zentrumsnahen Ort, der attraktiv für unsere Zielkundschaft ist, aber dennoch nicht direkt in der Innenstadt liegt. Da bot sich die Brühlervorstadt an. Die bietet zum einen geringere Fixkosten, zum anderen aber wollten wir in Ruhe und mit Muße arbeiten. Aus diesem Grund haben wir auch keine festen Öffnungszeiten.

Wie wichtig ist dabei für Hörstil der Lifestyle-Gedanke?
Hörstil hat sich nach und nach zu einer eigenen Marke entwickelt. In Erfurt lässt sich das natürlich gut umsetzen, weil wir ein entsprechendes Publikum hierfür haben. Aufgrund der zentralen Lage und einer höheren Einwohnerzahl ist der Vorteil da, dass man ein größeres Publikum anziehen kann, das für solche Produkte affin ist. Aber ich denke, dass das Thema größer und komplexer ist und letztendlich die gesamte Branche betrifft. Denn wir sprechen immer noch über ein Produkt, das mit einem Stigma behaftet ist. Hörsysteme sind nach wie vor noch nicht so salonfähig wie Brillen. Doch wir befinden uns auf einem guten Weg. Wir als Hörstil haben uns von Beginn an das Ziel gesetzt, diese Stigmawirkung zu reduzieren. Das geht beispielsweise, indem wir den Lifestyle-Charakter von Hörsystemen nach außen heraustragen.

Wie transportieren Sie diesen Lifestyle-Gedanken auf den Kunden? Und wie wichtig ist dieser?
Das wird in mehreren Details während der Versorgung mit deinem Denkprozess deutlich. Allgemein sollten Hörsysteme die Persönlichkeit herausstellen und nicht eine Prothesenwirkung verbreiten. Diesbezüglich spielt uns die Industrie mit all den Möglichkeiten, die sie bietet, auch in die Hand. Die Ankopplung an Smartphones etwa ist bei Hörsystemen mittlerweile ja convenience. Dennoch stehen Hörsysteme bei vielen Kunden noch in der Schmuddelecke. Dass ein Hörsystem aber ein absolut individuelles und geiles Gadget ist, das einen teilweise in die Lage versetzt, seinen guthörenden Freund beim Hören sogar in einigen Lebensbereichen zu übertreffen, müssen wir als Hörakustiker noch besser herausarbeiten. Doch unabhängig von den ganzen Gadgets darf eines nie vergessen werden: Hörsysteme sind dazu da, den Menschen eine bessere Kommunikation und Teilhabe zu ermöglichen. Diesen Zustand herzustellen, und darüber aufzuklären, was geht und was nicht, darin besteht nach wie vor unserer Hauptaufgabe als Hörakustiker. Die Zusatzfunktionen darüber hinaus tragen nur dazu bei, dass Hörsysteme gerne getragen werden. Das eine ist also die medizinische Komponente und das andere ist die Life- style-Komponente. Ich denke, je stärker und je aktiver die Lifestyle-Komponente wahrgenommen wird, desto mehr Leute lassen sich auf diesen medizinischen Aspekt ein.

Was heißt das in Bezug auf Ihre Marketingaktivitäten?
Große Plakatwerbungen, Anzeigen oder ähnliches machen wir nicht. Wir legen extrem viel Wert auf Weiterempfehlung. Uns ist bewusst, dass unsere Art der Marktbearbeitung und Markenkommunikation durchaus langsamer abläuft als über andere Wege. Dafür macht es aber mehr Spaß, weil wir damit wirklich die Kunden ansprechen, die auch zu uns passen. Wir haben unseren Fokus darauf, dass wir eine saubere hübsche und aktuelle Webpräsenz haben. Darüber hinaus achten wir stark auf unser kleines, aber feines Netzwerk aus Kunden, Integrationsfachdiensten, Kliniken und HNO-Ärzten. Ein dauerhafter Austausch ist sehr wichtig.

Welche Philosophie verfolgt Hörstil in Bezug auf die otoplastische Anbindung?
Unser Anspruch besteht darin, dass Hörsysteme nicht spürbar sein sollen. Unsere Kunden sollten nie das Gefühl haben, diese in irgendeiner Weise als störend zu empfinden. Das allerdings bekommt man nur dann hin, wenn eine Otoplastik exakt am Hautgewebe anliegt und auch die ganzen beweglichen Verformungsprozesse mitberücksichtigt, wie etwa beim Kauen, Lachen oder bei Mimikbewegungen. Wenn man mit einem Provisorium arbeitet, kann man diese Faktoren niemals gewährleisten. Dadurch, dass Schirmchen rund sind, wird es immer Stellen im Gehörgang geben, an denen es zu viel oder zu wenig Druck gibt, von den akustischen Auswirkungen ganz zu schweigen.

Dennoch hört man immer wieder das Argument, dass sich viele Kunden nur schwer von einer Otoplastik überzeugen lassen.
Diese Erfahrung machen wir überhaupt nicht. Im Gegensatz: Die Otoplastik ist ein super Mittel, um den Lifestyle-Charakter zu unterstreichen. Die muss nicht unbedingt diskret sein. Die kann bunt sein und die Wünsche der Kunden widerspiegeln, wie etwa spezielle Bauformen oder Farben. Das setzt aber eine geschickt designte Otoplastik voraus, die sich in den haltgebenden Strukturen des Ohres schön verankert und gleichzeitig die Kieferschwingungen mit einbezieht. Wenn man dann noch gute Materialien nutzt und andere Kleinigkeiten beachtet, kommt man dem Ziel einer Otoplastik, die man nicht spürt, relativ nahe. Zumal man nur so ein reproduzierendes akustisches Ergebnis gewährleisten kann. Insofern ist eine gute Otoplastik akustisch wie auch für die Akzeptanz und das Tragegefühl extrem wichtig.

Entsprechend modellieren Sie alles selbst im Haus?
Absolut, das ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil. Jeder im Betrieb hier modelliert selbst, weil dann auch die eigene Intention und die eigene Vorstellung umgesetzt werden kann. Das Modellieren ist das zeitgemäße Pendant zum Fräsen und stellt eine Kompetenz dar, die in Zukunft immer wichtiger werden wird. Das sollte jeder können. Wo geprinted wird, ist zunächst sekundär. Dennoch ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir hier unseren eigenen Printer stehen haben werden.

Kehrt die Otoplastik die handwerkliche Seite des Hörakustikers heraus?
Ja, absolut – egal, ob diese manuell oder digital hergestellt worden ist. Denn letztlich spiegelt sich hier die Intention des Akustikers wider. Und wenn man den Gehörgang erst einmal gefühlt, gesehen und erfasst hat, kann man eine Idee entwickeln, wie diese designed sein muss, damit es gut funktional ist. Zudem wird auch die Kreativität, die für dieses Handwerk notwendig ist, deutlich. Was sich hinter dem Ohr befindet, ist jederzeit leicht austauschbar.

Herr Schadow, Audio Infos bedankt sich für das Gespräch! 

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