Signia: „Wir wollen ein anderes Kapitel aufschlagen“

Am Messestand von Signia konnte man sehen, wie die Marke ihre auf dem Launch-Event im März dieses Jahres in Hamburg dargelegte Marschrichtung verfolgt. So stand mit dem „Styletto“ jenes neue Hörsystem im Mittelpunkt, mit dem Signia den Ansprüchen jüngerer potenzieller Kunden Rechnung tragen will. Im Gespräch erklären Geschäftsführer Christian Honsig und Sascha Haag, Leiter Audiologie und Training, nicht nur die Beweggründe für das „Styletto“. Sie stellen auch weitere Neuheiten ihres Hauses vor und appellieren an das Selbstbewusstsein der Branche.

Veröffentlicht am 16 Dezember 2018

Signia: „Wir wollen ein anderes Kapitel aufschlagen“

Herr Honsig, Herr Haag, mit welchen Erwartungen sind Sie zum diesjährigen Kongress gereist? Christian Honsig: Mit freudigen Erwartungen. Für das „Styletto“ hatten wir vor einigen Wochen bereits einen Pre-Launch, auch, um erste Kundenreaktionen einzuholen und zu schauen, wie die Kommunikation funktioniert. Den Indikator, den wir damit bekamen, ließ uns sehr positiv gestimmt nach Hannover kommen. So geht es uns nun nicht darum, über den 49. und 50. Kanal zu sprechen oder über die noch bessere Frequenzkompression. Nicht, dass das keine guten Themen wären. Aber ich denke, in dieser Hinsicht gibt es am Markt schon sehr viel gute Performance. Darum wollen wir ein anderes Kapitel aufschlagen.

Unsere ersten Eindrücke am heutigen Mittwoch waren, dass einige Hersteller die Grenze zwischen Hörsystemen und Hearables zu verwischen beginnen, darunter auch Signia, indem Sie mit dem „Styletto“ das Thema Design in den Vordergrund stellen. Ist das das Rezept, um sich als Hörsystem-Hersteller nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen?
Christian Honsig:
Ich sehe da zwei Punkte. Zum einen geht es darum, wie unsere Kunden ihre Kunden ansprechen können. Wenn man sich die Entwicklung der Branche mal im Zeitraffer anschaut, begann alles mit Lösungen für Menschen mit hochgradigem Hörverlust. Konnte man deren Erwartungen erfüllen, hatte man zufriedene Kunden, die auf ihre Lösung nicht mehr verzichten wollten. Provokativ könnte man sogar sagen, dass es diesen Kunden egal war, wie ihre Lösung aussah. Mit der Zeit ging es dann auch um mittlere Hörverluste. Nun sind wir bei den moderaten und geringen Hörverlusten. Und je weniger das Kernproblem Hörverlust drängt, desto mehr sind es Zusatzleistungen und -merkmale, die den Kunden zu einer Kaufentscheidung bewegen. Hierbei profitieren wir natürlich von Megatrends wie Smartphone, Konnektivität, Digitalisierung oder Mobilität. Diese Trends beeinflussen auch unsere Zielgruppe. Und dadurch bauen sich Parallelen auf, wodurch wir wiederum das Thema Hörverlust gegenüber einer breiteren Gruppe ansprechen können.

Und was ist der zweite Punkt?
Christian Honsig:
Da geht es um die Dynamik im Markt, die wir alle zusammen im Auge behalten müssen, um zu sehen, wer da noch alles auf der Bildfläche auftaucht. Aber je besser wir unsere Kundengruppe ansprechen können – technologisch und emotional – um so stärker ist unser Angebot. Bieten wir Schwach- stellen, öffnen wir die Tür für andere Player.

Messestand von Signia: „Neuigkeiten um Neuigkeit”

Das „Styletto“ ist demnach hierzu Ihr erster Aufschlag?
Christian Honsig: Es ist der konsequenteste Schritt. Nehmen wir die Akku-Technologie, durch die das „Styletto“ entstehen konnte. Als wir vor zwei Jahren mit der Lithium-Ionen-Technik anfingen, war das ein ziemliches Novum. Da mussten wir als Branche erst mal etwas dazulernen. Andererseits: Außerhalb unserer Branche sind heute konventionelle Batterien die Exoten. Hier haben wir also begonnen, uns den Erwartungen der Verbraucher anzupassen. Oder TeleCare: Damit haben wir nun eine Service-Komponente, die moderne Medien nutzt. Und in puncto Design wecken wir bewusst Assoziationen mit einem Produkt, das aus Kalifornien kommt, mit dem Stück Obst drauf. Wir verwischen die Grenze mit Absicht – und werden dabei nicht unsere Profession aufgeben. Wir werden sicher nicht als der Gadget-Anbieter in eine andere Welt marschieren. Aber die Kunden, die zu uns kommen, kennen diese andere Welt. Und die sollen, wenn sie in unsere Welt eintreten, keine Abstriche machen müssen.

Bisher haben Sie bei der Akku-Technologie auf induktives Laden gesetzt. Beim „Styletto“ sind Sie davon abgerückt. Warum?
Sascha Haag:
Beim induktiven Laden braucht man ein konstantes induktives Feld, das sich wegen der Bewegung, zum Beispiel in der Hosen- oder Manteltasche oder im Handgepäck nicht herstellen lässt. Beim galvanischen Laden mit einem festen Kontakt dagegen kann man das Aufladen unterwegs gewährleisten und dem Gedanken der Mobilität Rechnung tragen. Auch schnelles Laden ist so möglich. Nach 30 Minuten hat man wieder fünf Stunden Leistung zur Verfügung. Für Kunden, die viel unterwegs sind, ist das sehr praktisch. Darum lädt man das „Styletto“ galvanisch.

Sie haben eben auch den Megatrend Konnektivität angesprochen. Was bietet das „Styletto“ hier? 
Christian Honsig: Die ist zu einem großen Teil abgedeckt. Dank Touch Control App können Android- und iOS-Telefon als Fernbedienung genutzt werden. Man hat also den vollen Komfort und braucht nicht noch ein zusätzliches Gerät. Was bei „Styletto“ nicht verfügbar ist, ist das Streaming. Das ist darin begründet, dass es uns hier in erster Linie um Design geht, kombiniert mit der vollen audiologischen Leistung, also mit e2e-Anbin- dung, OVP etc.

Durch die Bauform des „Styletto“ müsste aber doch eigentlich der Platz für eine Bluetooth-Antenne vorhanden sein, oder?
Christian Honsig:
Der Platz ist da. Aber wenn man einen völlig neuen Formtypen baut, mit einer langen Akku-Zelle, die wir so noch nie hatten, muss man eine Menge Herausforderungen meistern und dabei Prioritäten setzen. Entscheidend war für uns das Bekenntnis zum Design. Das hat die Branche so bisher noch nicht gemacht. Und ich glaube, die Ansprache der Zielgruppen verändert man nicht, indem man das nächste Bluetooth Gerät anbietet, sondern mit einer neuen Designsprache.
Sascha Haag: Dazu kommt: Kunden mit leichtem bis mittelgradigem Hörverlust gehen nicht zum Hörakustiker, weil sie etwas suchen, womit sie besser telefonieren können. Die kommen, weil sie zum Beispiel in bestimmten Situationen, in Gesellschaft oder bei der Arbeit, den Anschluss verlieren. Und für diese kritischen Situationen bieten wir eine Unterstützung an.
Christian Honsig: Wir hatten im Vorfeld 500 Endkunden zum Thema Design befragt. Neun von zehn Kunden bevorzugen schlankes Design. Auch die Abbruchquote verringert sich so um über 50%. Es geht dabei vielen weniger um die Technologie, als viel mehr um die Akzeptanz. Wir können so Menschen erreichen, die wir bisher nicht erreichen konnten.

Kommen wir zu weiteren Neuheiten, die sie hier auf der Industrieausstellung präsentieren. Sie bieten mit dem „Insio“ nun auch IdO-Systeme mit Bluetooth an. Was erwarten Sie sich von diesem Schritt?
Christian Honsig:
Es ist ein konsequenter Schritt. Hätten wir so ein Gerät vor fünf Jahren auf den Tisch gelegt, hätte man gedacht, wir wären in der James- Bond-Welt angekommen. Heute hingegen erscheint das selbstverständlich. Mein großer Wunsch dabei ist, dass unsere Kunden mit diesem Bewusstsein auch ihren Kunden gegenübertreten, vor allem bei denen, für die Diskretion weiter ein wichtiges Thema ist – trotz oder gerade wegen des recht geringen Marktanteils von IdOs. Immerhin sind IdOs das Marktsegment, das nach den RIC-Geräten am stärksten wächst. Gleichwohl gibt es nach wie vor anatomische und technologische Grenzen. Ganz im Ohr verschwinden lassen kann man Geräte mit Bluetooth nicht. Man braucht den Kontakt zur Antenne. Daher hat man bei den IdOs mit Bluetooth, die es ab der Halb-Concha-Variante gibt, etwas mehr Sichtbarkeit, aber eben auch eine hohe technische Stabilität.

Was präsentierten Sie hier auf der Industrieausstellung außerdem?
Sascha Haag:
Das „Motion Charge&Go“, das Pendant zum „Pure Charge&Go“. So können wir nun auch die Kunden bedienen, die aus anatomischen oder pathologischen Gründen keine Ex-Hörer-Geräte tragen können. Zudem verbreitern wir damit unser Lithium-Ionen-Portfolio. So haben wir nun, neben „Styletto“, „Cellion“ und „Pure Charge&Go“ auch das „Motion Charge&Go“. Damit können wir 95% aller Hörverluste abdecken – und gleichzeitig im Grunde schon fast auf Batterien verzichten. Nur ein Super-Power-Gerät mit Lithium-Ionen-Akku gibt es noch nicht.

„klargestellt, wer der Anpasser ist – nämlich der Akusitker”

Sie hatten bereits beim Presserundgang gesagt, dass Sie das Ende der klassischen Batterie kommen sehen …
Sascha Haag: Wir haben heute schon eine große Anpassrange mit den Lithium-Ionen-Akkus. Nun geht es darum, dass die Akkus auch in den preiswerteren Leistungsklassen Einzug halten, und in den IdOs. Wobei man bei Letzteren mit den Formen der Akkus an Grenzen stößt. Da bleibt abzuwarten, wie sich dieses Feld weiterentwickeln wird. Aber was HdOs angeht, so bin ich überzeugt, dass wir – bei den schnellen Entwicklungszyklen, die wir heute haben – in fünf Jahren keine klassischen Batterien mehr brauchen werden.

Eine Frage zu TeleCare. Wir beobachten, dass es hierzu weiterhin geteilte Meinungen gibt. Einige nutzen sie, andere sind skeptisch. Wie überzeugen Sie die Skeptiker? 
Christian Honsig: Skepsis finde ich erst mal gut. Man muss ja nicht jedem Trend nachlaufen. Nur ist es von der Skepsis oft nicht weit zur Blockade. Und ich denke nicht, dass es klug ist, technologische Innovationen generell zu blockieren. Wir haben TeleCare sehr bewusst als Medizinprodukt positioniert und uns ausführlich mit der biha abgestimmt, TeleCare dem gefahrengeneigten Handwerk zuzuschreiben. Damit haben wir eine Lanze für das Handwerk gebrochen – und klargestellt, wer der Anpasser ist: nämlich der Akustiker. Daran wird sich nichts ändern. Nun müssen wir schauen, dass wir das noch deutlicher rüberbringen und daraus einen Mehrwert für den Kunden machen. Denn der stellt überall fest, dass Stationär und Digital immer mehr verschmelzen.

Nun haben Sie bei diesem Thema noch weiteren Ballast in Ihrem Rucksack: audibene. Wir hören immer wieder von Befürchtungen, dass dieses Zusammenspiel eines Tages anders aussehen wird als heute. Inwiefern arbeitet Signia eigentlich verstärkt mit audibene zusammen? 
Christian Honsig: Das Geschäftsmodell von audibene ist die Ansprache von Kunden auf einem speziellen Kanal: Online. Das Modell ist ein offenes System. Das Portfolio bestimmt der Akustiker. Würden die Akustiker, mit denen audibene arbeitet, zu 100% Signia Geräte anpassen, dann könnte man tatsächlich befürchten, dass es hier einen Schulterschluss geben wird. Aber das ist nicht so. Was ich noch mal unterstreichen möchte: Das Modell basiert auf einer Versorgung durch den Akustiker vor Ort. Und auch TeleCare wird vom Akustiker eingesetzt. Der nutzt das Portal und bindet darin seinen Kunden in ein geschütztes Netzwerk ein. Und es ist der Akustiker, der die Hoheit über die Daten hat. Hätten andere Leute Zugriff auf diese Daten, wäre das ein Super-GAU. Damit wäre das System für uns tot.

„Kein Testimonial, das die Zielgruppe adressiert, die wir schon haben.” Manuel Cortez am Messestand von SIgnia (Foto: Tanja Bolte)

Wechseln wir das Thema: Sie haben hier auf der Messe ein neues Testimonial vorgestellt: Manuel Cortez, Schauspieler und Fotograf. Was verbindet Signia mit ihm? 
Christian Honsig: Wir wollen Menschen mit Hörverlust und das Thema Design ansprechen. Und wir wollen eine jüngere Zielgruppe erreichen. Spielt man mit den Schnittmengen und fragt sich, wen aus der Öffentlichkeit man dafür gewinnen könnte, stößt man fast automatisch auf Manuel Cortez. Er trägt seit mehreren Jahren Hörsysteme, aktuell „Styletto“. Und er kommt aus der Design- und Stilwelt. Als wir von ihm eine positive Rückmeldung bekamen, freuten wir uns. Er ist ein charismatischer Typ, mit dem die Arbeit unglaublich viel Spaß macht. Darüber hinaus brechen wir mit ihm aus unserer bisherigen Welt aus. Wir wollten kein Testimonial, das die Zielgruppe repräsentiert, die wir ohnehin haben. Mit jemandem wie ihm bewegen wir uns also in eine richtige Richtung, nämlich in die, die wir bisher noch nicht adressiert haben.

Ein Thema, das im Vorfeld des Kongresses für Furore sorgte, ist die Zulassung der FDA für ein Hörgerät von Bose. Macht Sie so eine Nachricht nervös? An der Börse sind die Kurse der dort dotierten Hersteller ja merklich eingebrochen … 
Christian Honsig: Bose ist ein großer Name. Und natürlich regt das an der Börse erst mal die Fantasien an, wenn sich so jemand mit diesem Thema beschäftigt. Grundsätzlich finde ich die zusätzliche Aufmerksamkeit für das Thema Hörgeräte erst mal positiv. Wenn so ein Player sich für unsere Branche interessiert, dann scheint die attraktiv und gut zu sein. Wozu ich hingegen gar nichts sagen kann, ist, was da überhaupt kommt. Aber da denke ich mir: Manchmal ist Gelassenheit auch eine gute Tugend. Ich selbst habe momentan ein ziemlich großes Selbstbewusstsein, was unsere Branche als Ganzes angeht, aber auch für Signia, dass wir mit unseren über 100 Jahren Erfahrung schon etwas ziemlich Gutes machen. So einfach ist das nicht zu kopieren. Und wenn wir dann sehen, was da überhaupt kommt, können wir entscheiden, wie wir damit umgehen.

Da Sie das Selbstbewusstsein ansprechen: Beobachten Sie das generell?
Christian Honsig:
Nein. Wie lange ist es her, dass es das erste Mal eine Hörgerätefunktion für das iPhone gab? Ein Jahr? Da waren mit einem Mal alle aufgeschreckt. Da fragt man sich schon, wie man seine Kommunikation verbessern kann. Wir reden hier über virtuelle acht-Mikrofon-Netzwerke, Störgeräuschunterdrückung, Richtcharakteristiken, Windgeräuschunterdrückung, wir können Sprache anheben und so weiter. Allein über die entsprechenden Patente könnten wir stundelang sprechen. Und dann kommt da einer mit großem Namen und mit nur einem Mikrofon in seinem Gerät, und all das scheint wie weggefegt. Wir sollten einfach mal reflektieren, wo unsere Stärken liegen, und wie wir daraus Kundennutzen generieren können.
Sascha Haag: Was noch dazu kommt: Die externen Marktteilnehmer kaufen ihre Chips von der Stange und müssen all das, was wir in den Hörsystemen auf den Platinen haben, mit Software simulieren und berechnen. Das kostet enorm viel Energie und Kraft.

Letzte Frage: Wir sehen bei Ihnen in der Organisation sehr viel Schwung. War es schwierig, für den zu sorgen? Zumal wir bei Ihnen nach wie vor in viele vertraute Gesichter blicken … 
Christian Honsig: Wir haben unseren Auszug aus der großen Siemens AG einfach als riesige Chance gesehen, weil wir uns fortan nur noch auf uns konzentrieren konnten. Und die bekannten Gesichter, die Sie ansprechen: Das sind die Leistungsträger, die uns dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Das hat also schon immer in uns geschlummert, es brauchte nur die richtigen Rahmenbedingungen. Und wir hatten keine Scheu, unsere Rahmenbedingungen anzupassen. Dazu sind wir stetig bereit nachzubessern, wenn etwas erst mal nicht klappt. Und dabei bringen wir Neuigkeit um Neuigkeit – und können hoffentlich eine Kooperation mit Widex eingehen. Wir wollen in diesem Markt etwas bewegen und die Nummer 1 werden. Denken Sie an mein Statement vor dreieinhalb Jahren. Wir wollen das wirklich, daran arbeiten alle mit und haben Spaß dabei. Natürlich haben einige auch gesagt, dass sie diesen Weg nicht mitgehen wollen, was vollkommen in Ordnung ist. Aber wir haben unglaublich viele Leute, die damals schon da waren, immer noch da sind und richtig Spaß haben. Da bewegt sich etwas.

Herr Honsig, Herr Haag, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.