RheinCampus in Mainz: Ein Gespräch mit Paul Crusius und Andreas Veltman

Am 3. Mai gab die audibene GmbH die Gründung des „RheinCampus“ in Mainz bekannt. Bestehend aus drei Säulen und in enger Zusammenarbeit mit der Hörgeräte Bonsel GmbH verfolgt das Online-Unternehmen mit dem „RheinCampus“ vor allem das Ziel, Online- und Offline-Hörakustik so miteinander zu verzahnen. 

Veröffentlicht am 16 Juli 2018

RheinCampus in Mainz: Ein Gespräch mit Paul Crusius und Andreas Veltman

Dadurch sollen Kommunikationswege und neue Service-Abläufe in der Hörsystemversorgung entstehen können.Das Konzept, das unter anderem eine mehrtägige interne Trainingsmaßnahme zur Ausbildung von „Hörberatern mit Fokus Babyboomer” beinhaltet, sorgte schnell für reichlich Gesprächsstoff. Ein Gespräch mit audibene-Co-Gründer Paul Crusius und Andreas Veltman, Geschäftsführer bei Hörgeräte Bonsel.

Meine Herren, ein Kompliment! Das ist wirklich eine beeindruckende Atmosphäre hier rund um den Kulturhafen. Nichtsdestotrotz: Hatten Sie eine turbulente Woche?
Andreas Veltman: Es kommt darauf an, wen Sie fragen. Meine verlief nicht großartig anders als andere.

Wirklich?
Andreas Veltman: Wenn Sie auf den internen Flurfunk in der Branche anspielen, so bin ich doch recht entspannt. Vielleicht sollte man sich den RheinCampus hier erst einmal anschauen, bevor man sich ein Urteil leistet. Ich bin von dem Konzept voll und ganz überzeugt und sehe bereits die ersten greifbaren Resultate.

Wie entstand die Idee zum audibene RheinCampus?
Paul Crusius: Die Hörgeräte Bonsel GmbH gehört zu den audibene-Partnern der ersten Stunde. Wir arbeiten seit sechs Jahren vertrauensvoll zusammen. Wir haben sehr früh festgestellt, dass sich die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit deutlich verbessern lassen, wenn man einen intensiveren inhaltlichen Austausch fördert und die jeweils anderen Arbeitsweisen vollumfänglich kennen- und schätzen lernt. Dieses tiefe, gegenseitige Verständnis ist das Fundament, um gemeinsam neue (noch) bessere Wege zum Kunden zu finden – in Bezug auf Beratungs- und Anpassungsqualität. Bestmögliche Kundenzufriedenheit treibt beide Unternehmen an. Und genau das lässt sich bestens umsetzen, wenn man sich auch im geografischen Sinne sehr nahe ist. Das ist mit dem RheinCampus jetzt der Fall.

Bessere Wege zum Kunden?
Andreas Veltman: Ja, wir wollen lernen, wie man mit dem Kunden von Morgen umgeht. In der Zusammenarbeit mit audibene, genauso wie in unseren Fachgeschäften, spüren wir, wie sich die Kundenanforderungen zunehmend ändern. Zentral ist dabei, dass sich im Hinblick auf Erstversorger gerade ein Generationenwechsel vollzieht. Die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit (auch Babyboomer genannt) werden mehr und mehr – offline wie online.  Diese Kunden werden die kommenden zehn Jahre in der Hörakustik prägen. Mit dem RheinCampus stellen wir uns frühzeitig und entschlossen darauf ein.

Welche Ziele verfolgen Sie in Bezug auf die neuen Wege zum Kunden?
Paul Crusius: Mit unserem Geschäftsmodell verfolgen wir einen beratungsintensiven Ansatz, um neue Kunden von den massiven Vorzügen moderner Hörsystemversorgung zu überzeugen. Neben Digital- und Beratungskompetenz ist die intensive Kooperation mit exzellenten Hörakustik-Partnern erfolgsentscheidend. Denn nur mit guter Beratung und optimaler Anpassung schaffen wir es, den Kunden von morgen nachhaltig vom neuen Hören zu begeistern. Wenn Online-, Telefon- und Offline-Welt ohne Grenzen miteinander agieren kann, entstehen magische Momente für unsere Kunden. Genau an dieser Schnittstelle der mehrwöchigen Hörgeräteversorgung benötigen wir ein tiefgreifenderes Verständnis der Anforderungen und Begeisterungsfaktoren der jüngeren, Babyboomer-Kunden. Intensive Beobachtung, pragmatisches Experimentieren und schnelle Iterationen in realen Kundensituationen sind hier elementar – es reicht nicht aus, einen unserer audibene-Produktmanager für ein paar Stunden in ein Fachgeschäft zu setzen. Da muss man viel größer und konsequenter denken und handeln. In anderen Worten: Wir müssen die Praktiker, also die Kollegen in den Filialen, mit den anderen Praktikern, also unseren Kundenberatern, zusammenbringen. Wir sehen schon jetzt, dass so die Qualität der Versorgung spürbar weiter gesteigert werden kann.

Paul Crusius und Andreas Veltman, Geschäftsführer bei Hörgeräte Bonsel, sind überzeugt, dass man durch den RheinCampus viel lernen wird

Ist das der einzige Grund?
Paul Crusius: Nein, eine weitere Beobachtung, die wir im Laufe der Jahre gemacht haben, war, dass eine gewisse geographische Nähe zu unseren Partnern von großem Vorteil sein kann. Berlin ist für viele Partner-Kollegen einfach sehr weit weg. Wir machen die Mehrheit unseres Kundengeschäftes entlang der Rheinschiene in den westlichen Teilen Deutschlands. Dann ist es nur konsequent, dass wir mit einem zweiten Standort unseren Partnern in diesen Teilen Deutschlands näher kommen wollen. audibene soll nicht nur in Berlin spürbar sein.

Nach Erscheinen der Pressemitteilung kursierten branchenintern die wildesten Gerüchte. Einige vermuteten, Sie würden mit der Firma Bonsel ein gemeinsames Geschäft führen. Was darf unter dem RheinCampus verstanden werden?
Paul Crusius: Die Gerüchte, dass wir Geschäfte betreiben, sind so alt wie audibene selbst. Genauso daneben liegen sie auch. Der RheinCampus besteht aus drei verschiedenen räumlichen Einheiten. Die erste Einheit ist das Mainzer Fachgeschäft der Bonsel Hörgeräte GmbH. Die zweite Einheit bilden unsere audibene-Kundenberatungsteams für die Region Süd-West. Die dritte Einheit umfasst Räumlichkeiten, die Training und Entwicklung von Innovationen gemeinsam mit unseren Partnern ermöglichen. Um die Intensität des Austausches zwischen Fachgeschäftsexperten und Kundenberatern zu maximieren und um direkt mit Kunden an neuen Servicekonzepten zu arbeiten, haben wir die Einheiten direkt miteinander verbunden und die Innenarchitektur so offen und transparent wie nur eben möglich gestaltet. Kunden, Partner und Kollegen sind begeistert von der geschaffenen kommunikativen Atmosphäre.

Sie sehen den RheinCampus sozusagen als ein Innovations- und Trainings-Standort, um sich auf die künftigen Herausforderungen in der Kundenbegleitung einzustellen?
Paul Crusius: Ganz klar. Insbesondere in der Kommunikation mit dem Kunden online und am Telefon sehen wir große Potenziale, von den audibene-Erfahrungen zu profitieren. Genau so geht es uns auch darum, unsere Kundenabläufe gemeinsam noch besser zu machen.

Herr Veltman, was hat Sie im Vorfeld dazu bewegt, das Geschäft aus der Stadtmitte hierher zu verlagern?
Andreas Veltman: Unser Geschäft in Mainz existiert schon sehr lange. Doch mittlerweile gibt es hier mehr Hörakustiker- als Schuhgeschäfte. Aus diesem Grund sind wir vor fünf Jahren innerhalb der Fußgängerzone bereits einmal umgezogen. Richtig zufrieden waren wir mit dem Standort nicht. Als ich dann von Herrn Crusius hörte, dass er mit dem Gedanken spielt, möglicherweise im Rhein-Main-Gebiet etwas aufzubauen, war die Idee geboren. Sofern Herr Crusius eine geeignete Räumlichkeit finden sollte, signalisierte ich, wären wir unsererseits bereit, unser Fachgeschäft in Mainz erneut zu verlagern.

Audio Infos Redakteur Jan-Fabio La Malfa im Gespräch mit Paul Crusius und Andreas Veltman

Wie wichtig ist Ihnen die Qualifikation der audibene-Kundenberater?
Paul Crusius: Unerlässlich, doch wer lernen will, braucht Investitionen. Wie sehr sich eine solche Vorgehensweise auszahlt, erkennt man daran, dass wir innerhalb von sechs Jahren über zwei Millionen Kundengespräche geführt haben. Das bringt uns daher in die glückliche Lage, dass wir schon sehr viel über die Babyboomer sagen können. Damit gelang es uns, die Kundengespräche zu systematisieren, zu strukturieren und didaktisch aufzubereiten. Entsprechend bilden wir schon seit längerer Zeit unsere Leute selbst aus. Das reicht aber noch nicht.

Dient dazu der angesprochene Aus- und Weiterbildungsbereich des RheinCampus?
Paul Crusius: Richtig, Lernen und Innovation gehen Hand in Hand. Mit dem RheinCampus möchten wir ein noch größeres Verständnis für die komplexe Realität im Fachgeschäft vermitteln. Denn nur wenn unsere Kundenberater umfassend verstehen, was vor Ort mit und am Kunden passiert, können wir unsere Partner in der telefonischen Beratung optimal unterstützen. Genauso hilft uns der RheinCampus auch, audibene-Partner zu involvieren und uns so gemeinsam in die Lage zu versetzen, bessere Abläufe im Sinne des Kunden herauszuarbeiten. Ich bin in den letzten Jahren von unseren Partnern so oft gefragt worden, ob wir Trainings für ihre eigenen  Mitarbeiter anbieten können. Jetzt öffnen wir unsere Sales-Akademie exklusiv für unsere Partner und verschaffen ihnen und ihren Mitarbeitern Zugang zu unseren über sechs Jahre und von zwei Millionen Beratungsgesprächen geschärften Inhalten. Diese Partner-Akademie hat zum klaren Ziel, unseren Partnern zu helfen, noch erfolgreicher zu arbeiten. Denn je mehr Wissen gemeinsam aufgebaut und genutzt wird, desto erfolgreicher werden unsere Partner und wir in der Zukunft sein. Ganz klar dabei ist bestmögliche Beratung und Anpassung das oberste Ziel aller Beteiligten.

Sie nutzen im Zusammenhang von Aus- und Weiterbildung den Begriff des Hörberaters. Was hat es damit auf sich? Schließlich steht hinter der Bezeichnung Hörberater kein konkretes Berufsbild.
Paul Crusius: Da stimme ich Ihnen zu. Hörberater ist ein freier Begriff, der in allen möglichen Konstellationen verwendet wird. Wie auch immer er andernorts zum Tragen kommt, bei uns findet er eine sehr spezielle Ausrichtung. Dabei handelt es sich um ein fünftägiges Training. Zwei Tage hiervon sind reine Theorie, drei Tage finden in der Praxis statt. Wir sprechen hier über eine Erweiterung unseres internen Trainings zum Kundenberater. In diesem Kalenderjahr richtet sich das Training primär an unser audibene-Team in Deutschland. Jeder, unabhängig von seiner Tätigkeit bei uns, soll einen Einblick in die Hörakustik bekommen. Das gilt für alle Kollegen – vom Buchhalter bis zum Backend-Programmierer. Das Training wird von fünf spezialisierten Hörakustikmeistern durchgeführt, die in der Praxis mindestens je 3.000 Hörsysteme pro Person angepasst haben. Auf diese Weise wird deutlich, wie anspruchsvoll und komplex die Arbeit am Endkunden vor Ort sein kann. Es geht darum, dass unsere Kollegen ein tiefergehendes Verständnis der Hörgeräteanpassung und Audiologie erhalten, um in der Kommunikation mit Kunden und Partner die geeignete Gesprächsebene wählen zu können. Es werden keine handwerklichen Tätigkeiten geschult. Auch geht es nicht darum, audibene-Kundenberater in den eigentlichen Anpassprozess vor Ort einzubinden.

Nichtsdestotrotz ist es so, dass sich einige Stimmen der Branche an dem Begriff Hörberater stören. Die Redaktion erhielt beispielsweise die Frage, ob der Hörberater der neue Geselle sei. Was sagen Sie hierzu?
Paul Crusius: Unser Ziel ist es, den Babyboomer besser zu versorgen. Die Gestaltung des Berufsbilds von Gesellen und Meistern liegt nicht in unserem Einflussbereich. Wer den RheinCampus auf unser Hörberater-Training reduziert, der übersieht den wesentlichen Aspekt unserer Bemühungen. Wir zielen darauf ab, die gesamte Kundenreise nachhaltig besser zu machen. Das betrifft Kontaktpunkte in allen Bereichen: im Internet, am Telefon und im Fachgeschäft. Der Hörberater bei uns wird nicht in den praktischen Kompetenzen des Hörakustik-Handwerks ausgebildet. Ziel ist es, sich noch besser in der Hörakustik auszukennen und die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Fachgeschäft vor Ort zu verbessern. Es geht ausdrücklich nicht um die praktische Arbeit am Kunden, wie zum Beispiel Audiometrie, Abdrucknahme oder Anpassung.

Weshalb ist diese Schnittstelle so wichtig?
Paul Crusius: Wir finden mit audibene Lösungen für ein sehr anspruchsvolles Problem: Wir ermöglichen Menschen mit Hörverlust ihr – in aller Regel – erstes Hörsystem zu tragen. Jeder Praktiker weiß, wie erfolgsentscheidend hier präzise Kommunikation auf Augenhöhe und hohe handwerkliche Kompetenz sind. An insgesamt rund 30 digitalen, telefonischen und physischen Kontaktpunkten arbeiten unsere Partner und wir daran, unseren gemeinsamen Kunden Top-Hörqualität zu liefern. Gerade das gekonnte Zusammenspiel zwischen Kundenberater und Partner vor Ort entscheidet über Erfolg oder Misserfolg in der Versorgung dieser jungen Kunden.
Andreas Veltman: Das kann ich nur bestätigen. Wir bei Hörgeräte Bonsel konnten feststellen, dass die Abstimmung zwischen online- und offline-Welt noch nicht so erfolgt, wie wir uns das vorstellen. Dass wir in dieser Annahme richtigliegen, merke ich mit dem RheinCampus schon jetzt. Wenn heute ein Kunde reinkommt, den man über audibene akquiriert und bei dem sich beim offline-Termin herausstellt, dass die Erwartungshaltung nicht der entspricht, die man jedoch beim online-Termin entwickelt hat, dann kann man heute den Kundenberater heranholen und so einen direkten Kommunikationsstrang aufbauen. Der gesamte Versorgungsprozess verbessert sich auf diese Weise. Und damit ist der Kunde schneller und besser versorgt.

audibene-Gründer und Geschäftsführer Paul Crusius

Worauf begründet sich diese Erwartungshaltung?
Paul Crusius: Anders als in der klassischen Fachgeschäftssituation treffen wir auf anders gelagerte Kundenanforderungen. Es geht darum, eine hohe Ergebnisqualität und gleichzeitig einen zügigen Ablauf zu ermöglichen. Genau das erwarten die jungen Erstversorger von uns. Genau das sehen wir in der Zusammenarbeit mit langjährigen Partnern. Genau das sehen wir in unseren Daten: Wenn wir gemeinsam mit unseren Partnern Kunden zügiger zum Ersttermin bringen, zügiger mit einem Hörgerät Erfahrungen sammeln lassen, durch klare Empfehlungen früher zum Abschluss bringen, sehen wir deutlich höhere Kaufquoten und eine höhere Kundenzufriedenheit. Ganz konkret sehen wir bei Partnern, die Ihre Abläufe aktiv und zügig gestalten, rund 20-25% höhere Konversion zum Kauf und eine 15-20% höhere Kundenzufriedenheit! Für manch einen mögen das erstmal kontraintuitive Ergebnisse sein. Letztendlich sind die jedoch die Realität der Kunden von Morgen. Babyboomer erwarten von uns allen die „Quadratur des Kreises“. Das bedeutet nichts anderes, als hohe Qualität zügig zu erbringen. Viele unserer Partner zeigen, dass das funktioniert und sind für die Zukunft bestens aufgestellt.

Haben Sie nach den fünf Jahren mittlerweile das Gefühl, dass ein Umdenken bei Ihren Mitarbeitern stattfindet?
Andreas Veltman: Ja, auf jeden Fall. Ich bin mir auch relativ sicher, dass die Mehrheit die gesamte Thematik inzwischen sehr positiv sieht. Selbst langjährige Mitarbeiter, von denen wir dachten, dass sie die Idee erst einmal skeptisch betrachten würden, sind mittlerweile Fans. Es macht einfach Spaß, in diesem jungen und dynamischen Umfeld zu arbeiten. Aufgrund der tollen Atmosphäre bin ich sicher, dass wir die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen haben, um dieses Denken zu beschleunigen und unsere Mitarbeiter noch mehr zu motivieren.

Meine Herren, Audio Infos bedankt sich für das Gespräch! 

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