Zu Besuch beim Hörspectrum Fiedler: „Zu einem Gespräch gehört auch ein Lächeln oder eine Emotion“

Durch das Tragen geschlossener Masken wird das Sprachverständnis erschwert, da sprachrelevante Frequenzen erheblich gedämpft werden.

Veröffentlicht am 05 Juni 2020

Zu Besuch beim Hörspectrum Fiedler: „Zu einem Gespräch gehört auch ein Lächeln oder eine Emotion“

Gleichzeitig wird das Ablesen von den Lippen durch die geschlossene Maske unmöglich gemacht, Emotionen und Mimik fallen weg. Das stellt insbesondere für Hörgeminderte eine unüberwindbare Kommunikationsbarriere dar. Der Fürther Hörakustikmeister André Fiedler hat deshalb zusammen mit der Modedesignerin Simone Wenning eine waschbare Mund-Nasen-Maske mit Sichtfenster entwickelt. Ein Gespräch mit André Fiedler vom Hörspectrum Fiedler.

Herr Fiedler, Sie haben waschbare Mund-Nasen-Masken mit Sichtfenster entwickelt. Wie ist es zu diesem Projekt gekommen?
Der Anstoß erfolgte im Grunde genommen durch ein Netzwerktreffen. Ich bin Pro Akustik-Mitglied. Aus diesem Grund tauschte ich mich Mitte April wieder einmal mit Michael Tielesch und Torsten Saile in unserer kleinen Regionalgruppe Süd aus. Wir sprachen bei dem Telefonat natürlich über nichts anderes als den Lockdown sowie die aufkommenden Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. Wir wollten miteinander besprechen, wie ein bestmöglicher Umgang mit dieser Situation aussehen kann.

Zu jenem Zeitpunkt war das Tragen von Masken aber noch gar nicht allgemeinhin Pflicht …
Das stimmt, aus unserer Sicht war es jedoch absehbar. Aber unabhängig davon war uns mit der Diskussion um Mundschutzmaskenpflicht eines sofort klar: Wir mussten befürchten, dass unsere Kunden durch die Masken und durch das fehlende Mundbild große Schwierigkeiten haben würden. Zu Beginn hatten wir die Hoffnung, mit Visier arbeiten zu können. Eine Lösung, die sich schnell verwarf, als Torsten mit Messungen nachweisen konnte, dass diese akustisch gesehen noch stärker dämmen als herkömmliche OP-Masken ohne FFP2-Filter. Und sie sind aktuell auch nicht zugelassen.

Wie sind Sie mit Torsten Saile und Michael Tielesch dann auseinandergegangen?
Da jeder bestrebt war, eine Lösung für sich und seinen Betrieb zu finden, hat jeder seinen Teil dazu beigetragen, dass wir heute diese Lösung haben. Torsten mit den Messungen, Michael mit den speziellen Folien und ich mit der Finalisierung der Masken. Am Ende hat jeder dann für sich sein Projekt vor Ort umgesetzt oder setzt es gerade um. Darüber hinaus waren wir uns im Vorfeld einig, dass wir das Projekt auch unserem Qualitätsverband Pro Akustik weitergeben und es dort teilen.

Wie ging es dann weiter?
In den Sozialen Medien, aber auch auf audio-infos.de entdeckten wir dann parallel schon Masken mit Sichtfenster, die von Privatpersonen entwickelt wurden. Außerdem gab es einige Nähanleitungen. Also bat ich meine Frau und meine Schwiegermutter, mir nach verschiedenen Nähmustern Prototypen für mich und meine Mitarbeiter herzustellen. Mit diesen ersten Modellen sind wir dann in den Betrieb, merkten aber rasch, dass die Folien und deren „Antifog“-Wirkung nicht ausreichend waren. Nachdem wir nach einigem Experimentieren mit verschiedenen Folien die Problematik in den Griff bekommen hatten, stießen wir auf die nächste Hürde. Es stellte sich heraus, dass die Produktion in Heimarbeit unheimlich zeitintensiv war.

Was haben Sie dann getan?
Zum einen erstellte ich ein YouTube-Video, um überhaupt auf die Situation der „Maskenproblematik“ aufmerksam zu machen und Sensibilität hierfür zu wecken, zum anderen habe ich Ausschau nach einer Schneiderin gehalten.

Kannten Sie eine?

Nein, aber das war dann auch gar nicht so schwierig. Mir war nur wichtig, jemanden zu finden, der sich im Idealfall schon mit Maskenfertigung auskennt. Im Netz stieß ich dann auf einen Artikel mit Simone Wenning, die im Internet die Seite „Simone Weghorn – mein Kleid“ betreibt. Sie ist Modedesignerin, die normalerweise Hochzeitskleider entwirft und schneidert. Wegen Corona begann sie ebenso, sich mit der Fertigung von Masken zu beschäftigen, da auch sie den Engpass sah. Sie hatte sofort ein offenes Ohr für das Projekt und wir trafen uns noch am gleichen Tag. Es galt, eine regionale Lösung anzubieten. Nachdem ich ihr einen meiner Prototypen dagelassen hatte, optimierte sie diesen und präsentierte mir nach wenigen Tagen eine neue Version, die mich sofort begeisterte.

Kann das Sichtschutzfenster beschlagen? Und welchen Umgang muss man mit der Maske sonst beachten?
Zwar ist es Simone Wenning und mir ebenso nicht gelungen, die Physik außer Kraft setzen, aber wir haben dank Michael Tielesch zumindest eine Folie gefunden, die wirklich lange gegen dem Beschlag Stand hält. Sie hält knapp 30 Minuten, ohne wesentlich Kondenswasser zu bilden und das Mundbild zu beeinträchtigen. Daher sollte man diese nach längerer Tragedauer kurz trockenwischen. Das sollte machbar sein. Darüber hinaus muss man nicht viel beachten. Die Folie kann einfach entnommen werden und sollte anschließend abgespült oder mit Wasserdampf bearbeitet werden. Am Ende lässt sich die Antifog-Wirkung der Folie mit etwas Spülmittel auffrischen. Dies ist auch vor dem ersten Gebrauch wichtig. Die Stoffmaske selbst lässt sich bei 60 Grad waschen.

Was kosten Ihre Masken?

Die unifarbenen Modelle kosten 18,50€Euro. Wir haben aber noch eine Variante im Kleeblattdesign, da das Kleeblatt das Wahrzeichen der Stadt Fürth ist. Die geben wir für 22,50 Euro€ab. Mir ist bewusst, dass das nicht wenig ist, aber der Aufwand für das Nähen, das Schneiden der Folien sowie die komplette Herstellung sind doch recht zeitintensiv, da alles in kompletter Handarbeit erfolgt. Für die Herstellung einer Maske sind insgesamt 30 Minuten notwendig.

Welches Feedback erhielten Sie dadurch?
Nachdem ich das YouTube-Video auf meinem Kanal hochgeladen hatte, erhielt ich innerhalb kürzester Zeit extrem viel und positives Feedback aus allen Richtungen. Zahlreiche Kunden oder Betroffene fragten, ob sie eine solche Maske bei mir erhalten können. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Beispielsweise unterstützte das Klinikum Fürth sofort unsere Aktion, indem sie es auf ihren Social Media-Kanälen teilten, obwohl die Angestellten selbst unsere Masken wegen der fehlenden Zertifizierung leider nicht tragen dürfen. Wir erhielten aber dennoch zahlreiche Anfragen durch HNO-Ärzte, Logopädie- und Schwerhörigenschulen. Die lokalen Zeitungen kamen von sich aus auf uns zu und auch ein Videoteam drehte einen Beitrag. Nicht zuletzt kam der Oberbürgermeister der Stadt Fürth, Dr. Thomas Jung, vorbei und postete sich mit unserer Maske auf seinen Sozialen Kanälen. Da war dann eine regionale Aufmerksamkeit da, die ich in dieser Form noch nie erlebt habe.

Worin sehen Sie den Grund?
Im Nachgang wurde mir bewusst, dass es ja nicht nur eine Verständlichkeitsproblematik gibt. Die ist zwar misslich, vor allem für Schwerhörige und für uns, die sich jeden Tag mit der Thematik auseinandersetzen. Normalhörende können dies zur Not aber irgendwie umgehen. Ich glaube deshalb, dass das Ausschlaggebende an der Sache ein sozialer Faktor ist. Denn Kommunikation besteht nicht nur aus Worten. Zu einem Gespräch gehört auch ein Lächeln oder eine Emotion eines Gegenübers. All das fehlt gerade.

Was machen Sie mit den Erlösen?
Simone Wenning und ich waren uns schnell einig, keine Gewinnerzielungsabsichten mit den Masken zu wollen. So gehen die Erlöse nach Abzug aller Kosten an das Frauenhaus Fürth. Im Schnitt sind das 4€Euro mit jeder Maske. Auf diese Weise tun wir in doppelter Hinsicht etwas Gutes. Sollten die Folien für das Mundbild günstiger zu bekommen sein, wird dieser Anteil noch steigen. Nach dem gleichen Muster verfahren auch Torsten Saile und Michael Tielesch. Torsten hat in Tuttlingen eine Kundin, die für ihn Masken näht und diese in ihrem Laden verkauft. Michael hat sich in Ulm überlegt, diese demnächst online anzubieten, genauso wie Simone Wenning, deren Masken man über simoneweghorn.de kaufen kann. Aktuell hat sie schon über 200 Stück verkauft.

Gab es bei Ihnen vor Ort weitere Unternehmerinitiativen, um die Lockdownproblematik abzufedern?
Als Stadt und Unternehmer sind wir gefühlt zusammengerückt. Die Stadt bildete eine WhatsApp-Gruppe, um Fragen zu klären und sich auszutauschen. Wir als Geschäfte haben wiederum eine Gutscheinplattform entwickelt, www.ein-Herz-für-Fürth.de. Aus dieser Initiative heraus sind bis heute allein hier 30.000€Euro in Form von Gutscheinen verkauft worden. Die Plattform soll auch künftig als Stärkung des Einzelhandels und für Projekte auch nach dem Lockdown weiterbestehen und weiterentwickelt werden.

Eine Frage zum Schluss: Das Coronavirus hat viele Hörakustikfachgeschäfte durcheinandergewirbelt. Wie sieht Ihre persönliche Situation aus?
Wie viele andere Kollegen auch hatte ich persönlich erst einmal für ein paar Tage eine gewisse Schockstarre. Wir sind ja eigentlich eine krisensichere Branche, aber die Tragweite des Ganzen nicht absehen zu können und nicht zu wissen, was da auf einen zukommt, macht einen fix und fertig. Sich plötzlich mit Kurzarbeit und staatlichen Hilfen zu beschäftigen, war mir schon sehr fremd. Diese Verunsicherung haben wir bei den Kunden natürlich schnell und drastisch in Form von Terminabsagen gemerkt. Nach ein paar Tagen galt es aber, wieder aufzustehen. Aufgrund der guten vorherigen Auftragslage konnten wir die Zeit nutzen, um vieles aufzuarbeiten. Wir hatten nie richtig zu und haben als Betrieb sehr früh versucht, den Kunden das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Ein YouTube Video im Zuge der 10 Tage Blog-Challenge von Fabian Böhm hat sich als unglaublich gut erwiesen. Wir hatten plötzlich auf unserem YouTube-Kanal ungesehene Klickzahlen und erhielten durch unsere Kunden riesen Lob und Feedback für das Video. In einem weiteren YouTube-Video versuchten wir, unseren Kunden auf lustige Art das Thema Telecare näher zu bringen. Dieses Video wurde sogar von Signia in deren Newsletter erwähnt. Nicht zuletzt haben wir mit einem Optiker vor Ort eine Kooperation gestartet und ermöglichen mit unsrem Lastenrad kontaktlose Auslieferungen von reparierten Geräten und Batterien. Insgesamt war Corona für uns der Anlass, noch kreativer zu werden sowie noch mehr Networking zu betreiben. Unseren Betrieb kennt heute jeder in Fürth. Das ist auch das, was ich mit diesem Interview der gesamten Branche mitgeben will: Habt Mut, nach vorne zu blicken, und startet was!

Herr Fiedler, wir bedanken uns für das Gespräch!

In der gleichen Rubrik