Ursula Sombetzki-Günter: „Der Begriff Einkaufsgemeinschaft ist zu eng”

In diesem Jahr feiert die Meditrend eG 30-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass baten wir Ursula Sombetzki-Günter, Geschäftsführender Vorstand, zum Gespräch – nicht nur, um die entscheidenden Momente der Interessengemeinschaft mit ihr Revue passieren zu lassen, sondern auch, um zu erfahren, wo die Meditrend heute steht und wohin sie künftig will.

Veröffentlicht am 22 Mai 2019

Ursula Sombetzki-Günter: „Der Begriff  Einkaufsgemeinschaft ist zu eng”

Frau Sombetzki-Günter, 30 Jahre Meditrend! Wie wurde gefeiert?
Die Hansestadt Hamburg war für uns erste Wahl  als Veranstaltungsort unseres Jubiläumswochenendes. Zahlreiche Mitglieder reisten schon am Freitag an und erlebten bei strahlendem Sonnenschein eine interessante Stadt- und Kieztour. Am Samstag hieß es „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, denn es stand die jährliche Generalversammlung auf dem Programm.  Die positiven Geschäftsergebnisse und der interessante Gastredner Philip Riederle sorgten für einen gut gelaunten Start in die Jubiläumsparty im Edelfettwerk. Rund 230 Gäste feierten bis in den Morgen bei guter Musik, Essen, Getränken und vielen kleinen Überraschungen. Und anstatt der üblichen gut gemeinten Festreden bedankte sich Meditrend bei den vielen Wegbegleitern, die zu ihrem langjährigen Erfolg beigetragen haben. Bereits in der Einladung wurde gebeten, auf Präsente zu verzichten und besser eine Spende an die Deutsche KinderhospizSTIFTUNG zu überweisen. So kamen 10.000 EUR für den guten Zweck zusammen.

Sie sind beinahe von Anfang an bei der Meditrend. Wenn Sie zurückblicken: Welche Momente waren für die Entwicklung der Gemeinschaft besonders wichtig?
Es gab viele dieser Momente. Ein Meilenstein war sicher die Einführung unseres Online Bestell- und Kommunikationssystems McEmm, das bei unseren Mitgliedern in ihrem Berufsalltag dazugehört wie die Nutzung einer Verwaltungs- oder Anpasssoftware. Auch die Entscheidung, ein Private Label zu starten, war so ein Moment. Wir haben ja schon sehr früh damit angefangen, Geräte anzubieten, die allein unter unserem Label – damals „Mediline“ – liefen. Unsere Philosophie war und ist mit allen Anbietern gut zusammenzuarbeiten, aber auch herstellerunabhängige Strategien zu verfolgen. Das Thema Private Label verfolgen wir bis heute mit sehr großem Augenmerk, wie man an unserer erfolgreichen „SoniTon“-Linie sehen kann. Darüber hinaus ist Anfang April eine weitere exklusive Marke dazugekommen: Audibel.

Audibel?
Ist die Zweitmarke eines amerikanischen Hörgeräteherstellers. Meditrend hat hier das exklusive Vertriebsrecht in Deutschland, das heißt, die Hörsysteme dieser Marke wird es allein bei unseren Mitgliedern geben. Und wie immer bei unseren Private Label-Produkten gibt es nicht nur Hörsysteme sondern auch entsprechendes Zubehör wie Batterien, Pflegemittel etc. Effektive Marketingunterstützung als auch die Online-Präsenz sind im Aufbau.

Warum ist es so wichtig, als Gemeinschaft ein, oder, wie in Ihrem Fall, zwei Private Label-Linien zu führen?
Für Meditrend bzw. für „SoniTon“ gilt, dass wir hier nicht nur einfach bereits eingeführte Hörsysteme bekannter Hersteller nehmen, diese mit unserem Namen branden und sie dann in den Verkauf geben. Dahinter steckt immer ein strategisches Konzept. So gibt es bei „SoniTon“ z.B. nicht die branchenüblichen Basic-, Komfort- oder Premium-Klassen, sondern wir sprechen von Hörwelten. Was ist dem Kunden wichtig: Design? Komfort? Neueste Technik? So rückt im Beratungsgespräch nicht unbedingt zuerst die Preisklasse in den Fokus. Beinahe ein Drittel der über uns eingekauften Hörsysteme sind SoniTon-Geräte. Das spricht klar für dieses Konzept.

In unserem letzten Gespräch vor fünf Jahren umfasste die Meditrend 196 Mitglieder mit insgesamt 350 Betriebsstätten. Wo stehen Sie heute? Die Marke der 500 Betriebsstätten sollen Sie ja bereits geknackt haben …
Das haben wir. In den letzten Jahren sind viele Akustiker bei uns eingetreten. Aktuell sind wir 325 Mitglieder mit insgesamt 515 Betrieben.

Tatsächlich? In unserem Gespräch damals sagten Sie, der Hype der Einkaufsgemeinschaften sei vorbei …
Das ist er für mich nach wie vor. Der Begriff Einkaufsgemeinschaft ist zu eng. Die Industrie versucht, mit eigenen Angeboten, Partnerschaften und anderen Modellen den Einkauf zu steuern, um die Akustiker stärker an sich zu binden. Wir sprechen hier lieber von Interessengemeinschaft oder Verbundgruppe – wie bei unserer Dachmarke: dem Verbund der Hörakustiker. Der Einkauf ist natürlich nach wie vor das Herzstück. Aber unsere Mitglieder legen auch großen Wert auf ein praxisorientiertes Leistungsportfolio. Und das wird bei Meditrend immer größer und macht letztlich auch unseren Erfolg aus. Die Mitglieder wollen einfach mehr. Und dieses Mehr leisten wir!

Und vor allem mit diesem weiteren Leistungsportfolio gewinnen Sie neue Mitglieder?
Gerade gestern telefonierte ich mit einem Mitglied. Man bedankte sich ausdrücklich, dass Meditrend so viel an Arbeit abnimmt und damit den Alltag erleichtert. Unser Motto: Bei Fragen, Problemen, Suchanfragen – einfach in Münster anrufen, das Team hilft gerne weiter. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Fortbildung mit unserem beliebten Fortbildungskongress und dem Azubi-Hörkolleg.

Mit Blick auf die wachsende Zahl an Mitgliedern: Halten Sie weiterhin daran fest, dass auf ein Gebiet mit 100.000 Einwohnern nur ein Meditrend-Mitglied beitreten darf?
Ja, denn der Gebietsschutz ist unseren Mitgliedern sehr wichtig. Möchte sich uns jemand anschließen, der in einem Gebiet ansässig ist, in dem wir bereits ein Mitglied haben, versuchen wir zu vermitteln. Denn wir glauben nicht, dass unsere Mitglieder untereinander den Wettbewerb schüren. Die Konkurrenz besteht eher zu den Filialisten und deren Marktauftritt.

Gilt bei Gemeinschaften Ihrer Meinung nach das Prinzip: Je mehr Mitglieder, desto besser? Oder gibt es eine Schallgrenze?
Eine Schallgrenze gibt es nicht. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass es mit einer kleinen Gruppe einfacher ist, neue Dinge schneller umzusetzen. Andererseits braucht man eine gewisse Größe, um eine starke Position z.B. beim Einkauf darstellen zu können. In einer Gemeinschaft wie der Meditrend, die auf absolute Freiwilligkeit setzt, muss man  Überzeugungsarbeit für sein Angebot leisten. Hier gibt es die Faustregel:  Ein Drittel der Mitglieder macht alles mit, ein Drittel verweigert sich komplett und das letzte Drittel überlegt, ob es mitmachen will oder nicht. Ein Highlight war da 2010 die 100%ige Zustimmung zur Gründung der Meditrend eG. Dazu musste sich die ursprüngliche Interessengemeinschaft der Hörgeräteakustiker Deutschlands GbR mit der Meditrend Vertriebs GmbH für Hörtechnik komplett auflösen und die Meditrend eG neu gegründet werden. Damals wurden alle Gesellschafter entlassen und mussten neu – mit aufwendigen Formalien – als Mitglieder in die Genossenschaft eintreten. Wir sind sehr stolz darauf, dass alle mitgegangen sind.

Wie Sie schon sagen: Die Meditrend war vorher eine GbR. Halten Sie die Genossenschaft als Gesellschaftsform für sinnvoll, um gute Arbeit leisten zu können? Die Branche wird ja immer schneller …
Für den Zusammenschluss mittelständischer Unternehmen ist die Genossenschaft die richtige Wahl, denn sie hat Haftungsobergrenzen, steuerliche Vorteile bei der Warenrückvergütung und kontrolliert Jahresabschluss sowie Geschäftsführung jährlich über den genossenschaftlichen Prüfverband. Allerdings ist auch bekannt, dass ich persönlich keine Freundin der Genossenschaft mit seinem dokumentarischen Aufwand und Formalien bin (lacht).

Wechseln wir das Thema: Ihre Plattform „Der Hörakustiker“ wendet sich einerseits mit Informationen an Endverbraucher, andererseits wird aber auch „Lead Generation“ betrieben. Wie agieren Sie da?
Unsere Berater in Sachen Online-Präsenz setzen nach wie vor auf die Qualität der Inhalte unserer Webseiten, um von den Suchmaschinen erfasst zu werden. Dem Online-Handel nach Audibene-Vorbild können wir uns ohnehin nicht stellen, dafür fehlen in erster Linie die finanziellen Mittel. Allerdings arbeiten wir an anderen webbasierten Ideen. So gibt es seit letztem Jahr unsere  Hörakustiker App. Der Endkunde kann diese im App Store oder bei Google Play herunterladen, und sie für die Kommunikation mit seinem Akustiker nutzen; z.B. um Termine zu vereinbaren.

Und als Akustiker könnte ich den Kunden über die App zum Beispiel zu Angeboten informieren?
Genau. Eine Fernanpassung oder –wartung der Hörsysteme ist über die App nicht möglich. Denn dazu braucht man die entsprechenden Schnittstellen der Hersteller. Es geht allein um die Kommunikation mit dem Kunden, der sich vielleicht auch den einen oder anderen Weg zum Geschäft sparen kann, weil er per App mit seinem Akustiker in Verbindung bleiben kann.

Ist die App, wie ihr Intranet McEmm, die Entwicklung eines Meditrend-Mitglieds?
Ja, in diesem Fall war das Birgit Hahm, ein langjähriges Mitglied aus Oldenburg. Frau Hahm war konzeptionell mit dem Thema schon sehr weit, so dass wir nur noch unseren Programmierer bitten mussten, das alles umzusetzen. Wieder ein erfolgreiches Beispiel für unsere engagierte Gemeinschaft „von Akustikern für Akustiker!“

Geben sich die Mitglieder der Meditrend nach außen als solche inzwischen zu erkennen? In unserem letzten Gespräch nannten sie das ein „leidiges Thema der Gemeinschaften“ …
Die Nutzung des Namens „Meditrend“ bzw. „Medi- trendpartner“ war vielen Mitgliedern zu abstrakt. Mit der Einführung unserer Dachmarke „Verbund der Hörakustiker“ haben einige Mitglieder in „Der Hörakustiker“ umfirmiert. Beim Hinzugewinn neuer Mitglieder wiederum spielt die Mund zu Mund Propaganda eine wichtige Rolle. Hier geben sich unsere Mitglieder gerne als Meditrender zu erkennen, um KollegInnen für die Gemeinschaft zu gewinnen. Das zeigt uns, dass eine enge Bindung an die Meditrend besteht, auch wenn es nicht im Unternehmens-CI kommuniziert wird.

Inwieweit können Sie im Bereich Marketing auf die Belange eines einzelnen Mitglieds eingehen? Zumal ein Akustiker in einer Großstadt andere Bedürfnisse haben dürfte, als jemand in der Provinz …
Das ist sicherlich so. Daher auch die Drittel-Regel, die ich vorhin erwähnte. Wir bieten im Marketing einen Standardbaukasten mit Werbebanner, Aufsteller, Anzeigen, Pressetexten, Briefvorlagen usw. an. Die Werbemittel lassen sich dann für das Mitglied individualisieren. Viele Akustiker greifen aber auch zu den Werbeaktionen der Industrie, die häufig kostenfrei sind bzw. mit entsprechenden Einkäufen kompensiert werden können.

Bieten Sie Ihren Mitgliedern auch bei Themen wie Personalsuche Hilfestellung an?
Die Themen „Personalsuche“ und „Mitarbeiterbindung“ werden in Zukunft die große Herausforderung sein. Die klassische Stellenanzeige ist ja bereits jetzt schon in vielen Fällen erfolglos. Unsere Branche wird immer mehr zum Arbeitnehmermarkt, d.h. die Bewerber können sich sowohl den Arbeitgeber aussuchen als auch ihre bisherige Anstellung angstfrei kündigen. Hier müssen unsere Mitglieder aktiv von uns unterstützt werden.

Sie hatten bereits das Hörkolleg der Meditrend angesprochen. Der Begriff fasst Ihre verschiedenen Bildungsangebote zusammen. Was beinhaltet das Hörkolleg an Angeboten?
Die Basis des Hörkollegs sind unsere Regionalveranstaltungen im November sowie die Generalversammlung im Frühjahr. Alle zwei Jahre organisieren wir einen großen Fortbildungskongress mit rund 35 Vortrags- und Workshop-Angeboten. Darüber hinaus bieten wir den Auszubildenden unserer Mitglieder eine Betreuung bis zur Prüfung im Hörkolleg-Azubi an. Beginnend mit dem Einführungswochenende stehen verschiedene Vertiefungskurse und Praxistage auf dem Lehrplan. Diese finden in Lübeck während des Blockaufenthaltes statt. Die Referenten sind wieder engagierte Mitglieder aus unserer Gemeinschaft.

Zum Schluss erlauben Sie uns bitte auch eine persönliche Frage: Sie arbeiten seit 1990 für die Meditrend. Wie weit sind Sie mit der Gemeinschaft verwoben? Und wird es auch mal ohne Sie gehen?
Für viele bin ich sicherlich das Gesicht der Meditrend. Doch die Arbeit und Verantwortung verteilt sich auf vielen Schultern: das engagierte Meditrend-Team in Münster als auch meine KollegInnen in Aufsichtsrat und Vorstand. Es wird aber auch Stimmen geben, die sich ein neues Gesicht in der Geschäftsführung wünschen. Dieser Generationswechsel muss – wie in jedem Unternehmen – sorgsam vorbereitet werden und wir arbeiten daran. Solange man mir in der Geschäftsführung vertraut und ich die Arbeit leisten kann, werde ich der Gemeinschaft erhalten bleiben.

Frau Sombetzki-Günter, haben Sie vielen Dank für das Gespräch. 

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