Phonaks Audéo Marvel: Ein Hörsystem für alle Fälle

Am 16. Oktober, einen Tag vor Beginn des 63. Internationalen Hörakustiker-Kongresses, präsentierte Phonak in Hildesheim ein neues Hörsystem. Mit „Audéo Marvel” knüpft der Hersteller an das im vergangenen Jahr präsentierte „Audéo B-Direct” an – nur, dass man nun keinerlei Kompromisse mehr machen müsse.

Veröffentlicht am 16 November 2018

Phonaks Audéo Marvel: Ein Hörsystem für alle Fälle

Dazu stößt Phonak mit dem Produktlaunch die Tür zur Welt der eAudiology auf, um den Hörakustikern Werkzeuge für eine noch bessere Versorgung an die Hand zu geben. Eine Sneak-Preview in Stäfa.

Man kann es den Mitarbeitern anmerken, wenn ihr Unternehmen im Begriff ist, etwas in ihren Augen Vielversprechendes auf den Markt zu bringen. Am 1. Oktober dieses Jahres ist im schweizerischen Stäfa, im Hauptquartier der Sonova AG, bei einigen Mitarbeitern eine dezente Euphorie zu spüren. Es wirkt, als hofften sie, der Funke der Begeisterung könnte schon überspringen. Einige tragen die neuen Hörsysteme bereits seit ein paar Wochen, ganz gleich, ob sie einen Hörverlust haben oder nicht. Sie testen und nutzen sie – zum freihändigen Telefonieren oder, um in akustisch schwierigen Situationen besser und mit weniger Anstrengung verstehen zu können. Was die neuen Geräte alles können? Wie sie klingen? Wie sie heißen? Das will man heute zwei Vertretern der Fachpresse aus Deutschland offenbaren.

Den Raum, in dem Martin Heierle, Geschäftsführer der Sonova Deutschland GmbH, die beiden Reporter begrüßt, nennen sie hier „den Google-Raum“. Sofa, Couchtisch, Sessel, Teppiche und ein Fernseher an der Wand versprühen Wohnzimmer-Atmosphäre. Wichtige Themen bekommen hier quasi eine gewisse Lässigkeit. Gestartet wird die Präsentation von Thomas Lang. Der Senior Vice President Marketing bei Phonak ist per Videokonferenz dazugeschaltet. Er erinnert an das vor einem Jahr in Kopenhagen präsentierte „Audéo B-Direct“. Diesen Weg habe man nun weiter beschritten. So sei das neue Produkt ebenfalls „Made for All“, nur habe man jetzt all die Kompromisse, die man zuvor noch machen musste, „ausgemerzt“. Alle Bedürfnisse würden befriedigt, die Leistung sei „kompromisslos“. Im Laufe des Tages könne man sich davon auch selbst überzeugen. Die Reporter sollen die neuen Geräte für ein paar Stunden tragen, um sie „erleben und reinhören“ zu können.

Einstellungen in Echtzeit ändern mit einer Remote-Session 

Vorhang auf für das „Audéo Marvel“
„Ich freue mich, Ihnen mit ‚Marvel’ nun das Produkt präsentieren zu dürfen, das alle Wünsche, alle Erwartungen an ein revolutionäres Hörgerät erfüllt“, eröffnet Martin Heierle. Bei dem Wort „Marvel“, denkt man unweigerlich an Superhelden. Doch meint es hier weder Superman, Spiderman oder Ironman. Es ist dem englischen Wort für „wunderschön“, „fantastisch“, „herrlich“ entlehnt: Marvelous „Marvel“ basiert auf dem Sonova Wireless One Radio Digital-Chip (SWORD), bietet direkte Konnektivität zu den allermeisten Bluetooth-fähigen Mobiltelefonen, verfügt als „Marvel M-R“ über einen fest verbauten Lithium-Ionen-Akku und soll eine „audiologische Top-Performance“ bieten. Das Versprechen: Liebe auf den ersten Klang.

Im Vorfeld der Entwicklung habe man mit vielen Hörakustikern Gespräche geführt und auch diese Frage gestellt: „Wenn Sie ein neues Hörsystem entwickeln würden und sich zwischen bester Spontanakzeptanz und optimalem Sprachverstehen entscheiden müssten – was würden Sie wählen?“ Einige wählten, berichtet Heierle, die beste Spontanakzeptanz. Andere fragten, welchen Kompromiss man dafür eingehen müsse. Und wieder andere wollten lieber optimales Sprachverstehen. Bisher habe man, so Martin Heierle, für die eine Präferenz einen Kompromiss mit der anderen machen müssen. Wollte man optimales Sprachverstehen, sei der erste klangliche Eindruck oftmals etwas schrill gewesen. Gerade bei Menschen, die sich zum ersten Mal versorgen lassen, ist das suboptimal. Da ist dann die Eloquenz des Hörakustikers gefragt. Setzte man anders herum auf die beste Spontanakzeptanz, konnte es ab dem Moment, da der Kunde eine akustisch etwas anspruchsvollere Situation erlebt, schwierig werden, erklärt Heierle. „Marvel“ vereine nun beides. „Phonak ist bekannt für optimales Sprachverstehen“, konstatiert Martin Heierle. Das wollte man freilich beibehalten. Also entwickelte man ein „ganz neues Verstärkungsmodell“, das in der Anpasskabine eine „sehr hohe Spontanakzeptanz“ biete, und später, im realen Leben, das optimale Sprachverstehen. Liebe auf den ersten Klang,  keine Kompromisse sozusagen.

In den „Marvel“-Systemen findet sich auch erstmals AutoSense OS 3.0. Mit künstlicher Intelligenz trainierte Algorithmen sollen noch besser erkennen, in welcher akustischen Situation sich die Hörsysteme befinden und sich dieser anpassen. Auch das Streaming-Signal, etwa vom Mobiltelefon oder vom „TV Connector“, klassifiziere AutoSense OS 3.0. Schließlich gebe es auch hier klangliche Unterschiede, auf die es sich zu reagieren lohne. Das freihändige Telefonieren habe man für das „Marvel“ ebenfalls weiter verbessert. Die Stimme des Anrufers hört man nun auf beiden Ohren. Gespräche annehmen wie beenden kann man per Taster. Zudem habe man die Abnahme der eigenen Stimme optimiert, so dass man nun auch in leicht lärmigen Umgebungen problemlos telefonieren könne. Für das Sprachverstehen in anspruchsvollen Hörsituationen setzt man beim „Marvel“ auf die Binaurale Voice Stream Technologie. „Wir haben ein Netzwerk von zwei Mikrofonen je Hörsystem. Das setzen wir ein, um auch in schwierigen Situationen kristallklares Sprachverstehen garantieren zu können“, sagt Martin Heierle.

Mittels EEG-Messungen, die in Zusammenarbeit mit dem Hörzentrum Oldenburg durchgeführt wurden, könne man überdies belegen, dass die Höranstrengung, nutzt man die „Marvel“-Systeme, im Vergleich zu auf Belong basierenden Geräten „klar“ geringer werde. In der Akku-Variante „Marvel M-R“ verfügt das Hörsystem über einen fest verbauten Lithium-Ionen-Akku. Die Geräte steckt man nun, auch das ist eine Verbesserung, zum Laden einfach in den Charger und sie schalten sich automatisch ab. Nimmt man sie wieder heraus, schalten sie sich von allein wieder ein. Eine dreifarbige LED gibt Aufschluss über den Status. Eine Akkuladung von 3 Stunden gewährleiste eine Laufzeit von 24 Stunden. Hierfür spricht Phonak eine fünf Jahre währende Garantie aus. Neben dem normalen Charger Case und der Power Bank, die, aufgeladen, Energie für zwei Mal sieben Ladungen bietet, gibt es nun außerdem einen Mini Charger „Die Geräte garantieren eine nachhaltige Kundenzufriedenheit“, fasst Martin Heierle zusammen. „Sie sind wiederaufladbar, bieten freihändiges Telefonieren, bestes Sprachverstehen – ein Gerät für alle Fälle.“

Flankiert wird das „Marvel“ mit dem Start einiger digitaler Werkzeuge, mit denen Phonak „das Geschäft“ seiner Kunden „stärken“ und ihnen die Möglichkeit, die eigene Online-Präsenz auszubauen, geben möchte.

 

„Marvel“ an den Ohren
Schließlich ist es soweit. Die beiden Reporter aus Deutschland bekommen je ein Paar Phonak „Marvel“ angepasst. Als Hörer werden die neuen M-Receiver gewählt. Die Geräte werden auf einen 30 dB flachen Hörverlust programmiert und mit einem Android-Smartphone verbunden. Dann werden die Geräte eingeschaltet. Und auch, wenn dieser Text von nun an Gefahr läuft zu klingen, als stünde der Autor auf der Gehaltsliste von Phonak: Der erste Eindruck ist wirklich gut. Der Autor hat bereits Hörsysteme verschiedener Hersteller ausprobiert. Eines empfand er als angenehm und offen, manche eher spitz und schrill. Die Spontanakzeptanz des „Marvel“ ist zumindest in diesem Fall also gegeben. Auf dem Weg zu Marike Carstens, einer Expertin für eSolutions im Sonova-Hauptquartier, versucht der Autor, irgendwie zu merken, dass da nun eine Signalverarbeitung stattfindet. Aber er merkt: nichts. Als hätte er die Geräte unterwegs wieder verloren.

eSolultions – mehr Dialog zwischen dem Kunden und dem Hörakustiker
Marike Carstens ist Produktmanagerin und leitet ein Team von sechs Personen, mit dem sie an eSolutions arbeitet und dafür die sogenannte User Experience optimiert. Sie stellt heute die mit den Start von „Marvel“ einhergehenden eSolutions vor. Zunächst präsentiert sie den „Hearing Screener“, einen Online-Hörtest, den man ganz einfach in seinen eigenen Internetauftritt implementieren kann. Auch seiner eigenen Corporate Identity kann man ihn anpassen. „Im Grunde ist das ein einfaches Lead Generation-Tool“, sagt sie. Der Test selbst dauere drei, vier Minuten, dann erhalte man „eine qualitative Einschätzung“. Im Anschluss könne man dem Nutzer verschiedene Möglichkeiten des in-Kontakt-tretens offerieren. Ist aus dem potenziellen ein richtiger Kunde geworden, kommt als zweites neues Tool das „Hearing Diary“ ins Spiel. „Da geht es um den direkten Kontakt“, erklärt Marike Carstens. Das Hörtagebuch in der neuen myPhonak App soll Endkunden helfen, zum Beispiel in der wichtigen Phase zwischen dem ersten und dem zweiten Termin Feedback geben zu können, ob und womit sie eventuell noch nicht ganz glücklich sind. Man kann das hier heute schon ausprobieren. Dafür zückt der Autor dieses Textes das mit seinen „Marvels“ gekoppelte Smartphone, öffnet die App und tippt als erstes Feedback zum Test einen etwas unglücklichen Smiley an. Im nächsten Schritt kann man mitteilen, womit genau man noch nicht zufrieden ist. Dann sendet man sein Feedback seinem Akustiker. Der kann es dann in seinem PhonakPro-Account abrufen.

Als Reaktion böte sich hier nun – die nächste Neuheit – eine Remote Session an. Dafür schickt man dem Nutzer Terminvorschläge auf dessen App. „Das ist der Dialog, den wir ermöglichen möchten“, sagt Marike Carstens. Zudem könne man, erklärt sie, als Hörakustiker einige Daten über den Gebrauch der Hörsysteme auslesen, sofern der Kunde dem eingangs zustimmt. Tut ein Kunde das nicht, kann er den Online-Service nicht nutzen. Parallel zum Start von „Marvel“ erscheint auch eine neue Version der „Target“-Software. Über die kann sich der Akustiker mit der App des Nutzers verbinden und Einstellungen der Hörsysteme ändern. Ein während der Session laufender Video-Anruf ist hier obligatorisch. „Dieser Kontakt ist aber nur über eine Verabredung möglich“, stellt Marike Carstens klar. So will man dem Akustiker Planungssicherheit gewährleisten. Sind die Einstellungen zur Zufriedenheit des Kunden geändert, startet man die Hörsysteme neu und die Änderungen werden übernommen. Ebenfalls neu ist die „my-Call-to-Text“-Funktion. Dies ist eine seperate App, die – telefoniert man über seine Hörsysteme – das, was der Anrufer sagt, mitschreibt. So kann man in Echtzeit mitlesen, was der Anrufer sagt.

Lutz Müller demonstrierte die Fähigkeiten der „Audéo Marvel”-Hörsysteme in Sachen Konnektivität 

Konnektivität und Klang
Ein Raum weiter empfängt Lutz Müller. Der Continious Integration Engineer stellt heute die verschiedenen Anbindungsmöglichkeiten vor, die die „Marvels“ bieten. So kommt mit den neuen Hörsystemen auch ein neuer „TV Connector“ auf den Markt. Wie der Vorgänger nutzt er die Phonak-eigene „AirStream“-Technologie. Die „Marvels“ des Autors sind nun mit dem „TV Connector“ verbunden. Auf dem Fernseher läuft die Tagesschau. Jan Hofer spricht. Das Signal wird in Stereo auf die Hörsysteme gestreamt und klingt amtlich. Neben einem könnten, erklärt Müller, noch x-beliebig viele andere „Marvel“-Nutzer sitzen und sich das Signal streamen lassen. Für den „TV Connector“ ist das kein Problem.

Dann demonstriert Müller die Klangqualität der „Marvels“ anhand von Musik. Zuerst spielt er ein nur aus Klavier und Cello bestehendes Stück ab. Über die Geräte klingt es sauber, dynamisch, voll und natürlich. Dann wählt der Autor dieses Textes einen Song aus. Wollte man meckern, könnte man den etwas laschen Bass monieren. Aber dafür könne der Akustiker, zum Beispiel in einer Remote-Session, live die Einstellungen optimieren. Der Dynamikbereich des zum Streamen verwendeten Protokolls liegt bei 118 dB. Die Umgebung lässt sich beim Musikhören wie beim Streamen des TV-Tons ein- oder ausblenden. Eine Herausforderung sei hierbei der Einfluss der möglicherweise verwendeten Otoplastik gewesen, berichtet Müller. Da sei bisher, sagt er, stets ein Kompromiss nötig gewesen: Optimiert man sie für die stets eingeschalteten Mikrofone? Oder für den Stream? Zumal man als Nutzer ja in beiden Bereichen guten Klang wünscht. „Mit unserer neuen Technologie können wir beides getrennt voneinander verarbeiten, so dass wir die beste Einstellung für das Streaming und die beste für den Direktschall kombinieren können“, erklärt Lutz Müller. Dafür werde auch das Streaming-Signal klassifiziert und dann entsprechend geregelt. Das Telefonieren funktioniert mit den „Marvels“ nun auch binaural. „Dafür wird das Signal von einem Hörsystem auf das andere übertragen“, erklärt Müller. „Wir nutzen also weiter den Vorteil von Bluetooth Classic, nur dass man den Gesprächspartner nun auf beiden Ohren hören kann.“

Auch auf das neue Verstärkungsmodell, mit dem die „Marvels“ die hohe Spontanakzeptanz herbeiführen sollen, kommt man zu sprechen. Dafür habe man vor allem die Kunden ohne Hörgeräte-Erfahrung im Blick gehabt. „Da geht es um Klangqualität, um den ersten Höreindruck in einem Dialog in ruhiger Umgebung“, sagt Lutz Müller. In älteren Geräten von Phonak sei das noch nicht ganz optimal gewesen. Nun fragt die neue Version von „Target“ ab, ob der Kunde viel, wenig oder gar keine Hörgeräte-Erfahrung hat. Kunden ohne jede Erfahrung sollen so anfangs „eine angenehmere Klangqualität“ angeboten bekommen.

Fasste mit dem Start der „Audéo Marvel” -Systeme einhergehende Neuigkeiten zusammen: Daniel Holenstein

Der Marktstart
In Deutschland erhältlich sein wird das Phonak „Audéo Marvel“ ab dem 21. November zunächst in zwei Varianten: als „Audéo M-312“ mit herkömmlicher 312er Batterie in den Preisklassen 30, 50 ,70 und 90 sowie als „Audéo M-R“ mit Lithium-Ionen-Akku. Am 26. Februar 2019 folgen drei weitere Varianten: das „Audéo M-312T“ mit Telefonspule, dann das schmalere „M-13T“ mit 13er Batterie sowie das „M-RT“ mit Akku und Telefonspule. Auch die Receiver wurden überarbeitet. Zudem erweitert Phonak das Hörer-Sortiment um die Größe M. „Bei dem haben wir darauf geachtet, mehr im Tieftonbereich zu machen“, sagt Daniel Holenstein, der den Reportern abschließend einen Überblick über die Neuheiten gibt. Damit möchte man vor allem dem Musikgenuss Rechnung tragen. Um das Kabelbruch-Risiko zu verkleinern, wurden außerdem die Hörer-Gehäuse angepasst. Ebenfalls neu ist das Klicksystem für die Domes, durch das man beim Aufstecken nun deutlich einen Klick hört. Zudem wurden die Domes in vielerlei Hinsicht verbessert und um einen extra kleinen ergänzt. Auch einen neuen, kleinen Cerumenschutz gibt es.

In Deutschland offiziell vorgestellt wurden die „Audéo Marvel“-Systeme am 16. Oktober in Hildesheim, einen Tag vor dem Start des 63. Internationalen Hörakustiker-Kongresses. „Damit haben wir den Kongress wieder für eine große Weltpremiere genutzt“, sagt Martin Heierle. Nun dürfte auf der Industrieausstellung sicherlich kein Dialog und ruhiger Umgebung möglich gewesen sein. Dass viele dennoch „Liebe auf den ersten Klang“ verspürten, dürfte so unwahrscheinlich nicht gewesen sein.