Zengerle und Riederer von ZR Hörsysteme GmbH im Interview

Gründe für eine Selbständigkeit gibt es tausende. Ebenso vielfältig sind die möglichen Herangehensweisen. Jeder hat unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man ein Hörakustikfachgeschäft aufbaut. 

Veröffentlicht am 25 Juni 2018

Zengerle und Riederer von ZR Hörsysteme GmbH im Interview

Ein junges Unternehmen, das im letzten Jahr im bayrisch-schwäbischen Grenzgebiet für Aufsehen sorgte, ist die Zengerle & Riederer Hörsysteme GmbH, die innerhalb eines Jahres drei Filialen eröffnete. Audio Infos besuchte die Geschäftsführer und Jungunternehmer Dominic Zengerle und Christoph Riederer in Kempten und ging der Frage nach, wie eine so schnelle Entwicklung möglich ist.

Herr Zengerle, Herr Riederer, vor gut einem Jahr gründeten Sie die ZR Hörsysteme GmbH. Heute umfasst Ihr Betrieb sechs Filialen. Können Sie zaubern?
Christoph Riederer: (lacht) Gewiss nicht. Aber dass wir aus eigener Kraft wachsen wollen, kann man nicht abstreiten.

Dafür muss es Gründe geben. Schließlich sind Sie kein Großfilialist, sondern Jungunternehmer.
Dominic Zengerle: Die gibt es auch. Allerdings muss man die Hintergründe kennen, um all das hier zu verstehen. Den Ausgangspunkt unserer Geschichte muss man daher im Oktober 2011 suchen: Dem Tag, als der gemeinsame Entschluss fiel, die Selbständigkeit zu beginnen, und zwar jeder für sich.

Was war der Auslöser dafür, dass Sie sich selbstständig machen wollten?
Dominic Zengerle:Im Prinzip sind da viele Punkte zusammengekommen. Jeder einzelne war so gesehen nicht ausschlaggebend. In der Summe aber führten sie dazu, diesen Weg einzuschlagen. Wesentlich war dabei der persönliche Antrieb. Man will etwas Eigenes aufbauen und gestalten. Durch das Kennenlernen vieler Facetten in einem mittelständischen Hörakustikunternehmen gewinnt man Erfahrung und gerät mit der Zeit ins Grübeln. Was will ich? Selbstständigkeit? Industrie? Oder soll ich bei meinem Arbeitgeber bleiben? Es war mir vor allem wichtig, eine Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten, damit ich in zwanzig Jahren nicht sagen kann, etwas bereut zu haben. Insofern hätte bei mir in dieser Phase die Antwort in alle Richtungen ausfallen können.

Welche Rolle hat bei der Entscheidungsfindung Christoph Riederer gespielt?
Dominic Zengerle:Er war ein Stück weit Motivator für mich. Insbesondere in der Phase, als die Business- pläne erstellt wurden, hat er entscheidende Vorarbeit geleistet. Vieles davon konnte ich übernehmen und auf mich übertragen. Er war derjenige, der mich in schwierigen Situationen überzeugte, nicht alles hinzuschmeißen, sondern weiterzukämpfen. Er nahm zu Beginn eine Art Vorreiterrolle ein.

Christoph Riederer:Das ging aber nur, weil ich aufgrund meiner damaligen Tätigkeit in der Industrie viel auf Reisen war und die Nächte in den Hotels genutzt habe. Wenn ich, wie er, noch meine Beschäftigung bei Egger gehabt hätte, wäre mir das nicht so leicht gefallen. Daher muss man schon sagen, dass unser Verhältnis von Beginn an auf Gegenseitigkeit beruhte. Wir haben uns schon damals hervorragend ergänzt und immer gut miteinander abgesprochen. Das gab einem das Gefühl, dass man nicht alleine war. Das und die Nähe zu meiner Familie waren die ausschlaggebenden Punkte, die mich dazu bewegt haben, meinen eigenen Weg in der Hörakustik zu suchen. Denn das Know-how, um selbst etwas zu bewegen und zu gestalten, haben wir. Davon war ich von Anfang an überzeugt.

Für welche Standorte haben Sie sich jeweils entschieden?
Dominic Zengerle: Natürlich macht man sich auf der Suche nach dem weißen Fleck. Das war schwierig, vielleicht utopisch. Ich selbst komme gebürtig aus Kempten und wollte in der Gegend bleiben. Dennoch wollte ich eine räumlich klare Trennung zum meinem alten Arbeitgeber finden, um einen sauberen und klaren Schnitt zu machen. Die Wahl fiel auf Marktoberdorf, da es großes Potenzial hatte, um einen ersten Ankerpunkt bilden zu können.

Christoph Riederer: Ich bin gebürtiger Biberacher. Die Frage, wo ich meine Selbstständigkeit beginnen soll, stellte sich für mich gar nicht. Dafür bin ich ein zu familienbezogener Mensch. Unabhängig von jeglicher Wettbewerbssituation war daher für mich klar, mein erstes Geschäft in meiner Heimat eröffnen zu wollen. Das ist eine typische oberschwäbische Stadt mit viel Industrie und guten Einkommen.

Wie sind sie die Gründung selbst angegangen? Businessplanung, Handwerkskammer, Ladeneinrichtung. Das sind gewiss alles Dinge gewesen, bei denen Ihnen beiden die Vorerfahrung fehlte, oder?
Dominic Zengerle: Jein. In den Jahren zuvor verantwortete ich bei meinem alten Arbeitgeber nicht nur die Administration, sondern auch den Einkauf. Darüber hinaus war ich eine Zeit lang für das Qualitätsmanagement zuständig. Insofern konnte ich eine gewisse Erfahrung mitbringen. Selbstverständlich gab es aber ebenso Bereiche, wie etwa Businessplan, Finanzierung oder Beratung bei der Handwerkskammer, die für mich komplett neu waren. Lauter kleine Hürden eben, das waren Herausforderungen, die manchmal unmöglich erschienen und dann doch irgendwie möglich waren.

Wie viel Zeit haben Sie sich dafür genommen?
Dominic Zengerle: Die Vorbereitungszeit betrug bei uns beiden etwa ein Dreivierteljahr. Natürlich parallel zum täglichen Geschehen. Rückblickend für mich war eine der schwierigsten Situationen tatsächlich die, dass man noch kein Geschäft hat. Das Business existiert eigentlich noch gar nicht, man möchte aber einen Laden mieten. Hier braucht es allein schon den Vertrauensvorschuss des Vermieters. Viele Dinge müssen da schon stimmen und mit viel Energie zusammengebracht werden, damit die Sache auch wirklich klappt. Sobald da jemand einen Strich durch die Rechnung macht, steht das gesamte Projekt bereits in Frage.

Irgendwann kam es dann zu den Geschäftseröffnungen …
Christoph Riederer: Das erfolgte zeitgleich im Juli 2012. Zengerle Hörgeräte und Gehörschutz in Marktoberdorf und ich mit meinem Laden „Hörwelt – Hörgeräte und Gehörschutz“ in Biberach.

Dominic Zengerle: Irre im Nachhinein. Für Samstag war die Eröffnung geplant, am Tag zuvor habe ich noch geheiratet.

Christoph Riederer: Dennoch wären mir ein paar Turbulenzen weniger recht gewesen. Denn obwohl ich ja rechtzeitig eine Neubauimmobilie gefunden hatte, für die ich sogar einen Mietvertrag unterschreiben konnte, kam es bei mir dazu, dass ich aufgrund eines Streits unter den Bauherren vor der Situation stand, relativ kurzfristig eine neue Geschäftsfläche zu suchen. Das warf alles über den Haufen. Glücklicherweise fand ich ein komplett baufälliges Geschäftshaus in der Stadtmitte, das ich mit sehr viel Unterstützung aufpolieren konnte. Am Ende kam nach einer längeren Bauphase ein Laden mit 130 m² heraus, was ohne meine Familie und Freunde wahrscheinlich nicht geklappt hätte.

Wie kann man sich die Folgezeit vorstellen?
Dominic Zengerle: Es entsprach einer wirklichen Berg- und Talfahrt. Es gab Tage, an denen man acht, neun, zehn Beratungen hatte und dann auch wieder mal nichts. Und wenn mal keine Anpassungen waren, dann war auch nichts zu tun. Wir konnten jedoch sehr erfolgreiche Aktionen setzen. Dennoch dauerte es, bis die erste Laufkundschaft, vor allem aber Kunden auf Empfehlung kamen. Für mich war das ein Moment, der mir einen weiteren starken Antrieb verliehen hat. Man merkte, dass sich die Arbeit herumspricht und die Sache beginnt, zu funktionieren. In der Folge habe ich habe mir dann Gedanken in jegliche Richtungen gemacht und begonnen, mich nach dem ersten Mitarbeiter umzuschauen.

Was sicherlich nicht so einfach war …
Dominic Zengerle: Na klar, das ist ein riesiger Unsicherheitsfaktor. Als Jungunternehmer kann man sich nie sicher sein, gut qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Umgekehrt überlegt man sich als Arbeitnehmer, ob man bei einem Start-up anfangen soll. Wie es der Zufall jedoch wollte, hatte ich aus Egger-Zeiten einen alten Kollegen, der genau zu mir passte. Er stammte aus Marktoberdorf und wollte nicht mehr pendeln. Entsprechend kamen wir zusammen, was mir dann die Möglichkeit eröffnete, in Kaufbeuren etwas aufzubauen. Das lief dann parallel. Nach einem Vierteljahr kam dann eine weitere Mitarbeiterin, die die Leitung der Filiale in Kaufbeuren übernommen hat. Vom zeitlichen Ablauf her gesehen perfekt.

Zu dem Zeitpunkt handelte es sich bei Ihnen also um zwei verschiedene Unternehmen, die sich mitten im Aufbau befanden?
Christoph Riederer: Richtig, wir haben versucht, mit dem Unterschied, dass er mit Kaufbeuren eine zweite Filiale realisiert hat, und ich mich darauf konzentrierte, den Standort in Biberach auszubauen. Bei uns beiden war aber da Antrieb da, aus eigener Kraft zu wachsen. Entsprechend waren wir ständig auf der Suche nach Mitarbeitern. Oftmals ließ sich das Thema nur über Umschulungen lösen, was sich im Nachhinein jedoch gelohnt hat, weil jeder einzelne für den Beruf brennt.

Was passierte dann 2017?
Dominic Zengerle: Im Prinzip der große Knall. Da gab das Bundeskartellamt bekannt, dass ein Fusionskontrollverfahren in Sachen Egger und Amplifon lief, die die Geschäfte übernehmen wollten …

… was ja dann auch so geschah. Was hat das mit Ihnen zu tun?
Christoph Riederer: Dominic Zengerle und ich haben kurzfristig beschlossen, uns die Situation zunutze zu machen. Wir haben einfach unsere Betriebe zusammengelegt und überlegt, ob es einen Weg gibt, sich gleichzeitig zu vergrößern. Klingt absurd, war aber so.

Zum Verständnis: Weil Egger plante, sein Hörakustik-Fachgeschäfte zu verkaufen, entscheiden Sie sich, Ihre beiden Betriebe zusammenzuschließen?
Dominic Zengerle: In dieser Form haben wir uns diese Frage natürlich nicht gestellt. Denn ursprünglich hatte das gar nichts miteinander zu tun. Die Idee entstand viel früher, da wir beide uns schon sehr früh mit dem Gedanken auseinander gesetzt hatten, was wohl passieren würde, wenn unsere beiden Betriebe irgendwann einmal räumlich aufeinanderstoßen würden. Was machen wir dann? Wenn beide langfristig gesehen die Vorstellung haben zu wachsen, macht es dann überhaupt Sinn, gegeneinander zu konkurrieren? Eher nicht.

Christoph Riederer: Zumal schon immer der Wunsch da war, mal etwas miteinander gemeinsam zu machen. Wir hofften, durch eine Zusammenlegung unserer Betriebe eine andere Schlagzahl auf den Markt zu bekommen. Im Prinzip hatten wir plötzlich ein super Blatt auf der Hand. Die Devise hieß entsprechend: entweder hopp oder top.

Wie sah der nächste Schritt aus?

Dominic Zengerle: Das aufregende an der Situation war, dass vorher alles nur ein Gedankenspiel war. Doch auch wenn der Zeitpunkt für uns mit lediglich drei Jahren Markterfahrung gewiss nicht günstig war, sahen wir durch die Egger-Nachricht plötzlich eine riesige Chance, die man so schnell nicht noch einmal bekommen würde. Eine Entscheidung musste her. Nachdem wir uns schnell auf eine Zusammenlegung verständigt hatten, klärten wir ganz simpel das Wie.

Christoph Riederer: Alles geschah Schlag auf Schlag. Aufgrund unserer jahrelangen Beschäftigung bei Egger waren wir halbwegs sicher, dass die meisten Mitarbeiter nicht begeistert sein würden, künftig bei einem Großfilialisten arbeiten zu müssen. Andererseits war uns bewusst, dass wir nichts zu bieten hatten. Wenn uns jemand gesagt hätte, dass wir einen Vogel haben, dann hätte ich das sogar verstanden.

Wie haben Sie das geschafft, die Banken zu überzeugen? Das entspricht einer Verdopplung der Betriebsgröße binnen eines Jahres …
Christoph Riederer: Das hört sich ein wenig seltsam an, aber tatsächlich haben sich zwei Banken um uns gestritten. Wir hatten gute Zahlen und Daten, wir hatten Mitarbeiter sowie Standorte, und wir hatten eine klare Marschroute. Dabei war uns sicherlich bewusst, dass wir uns auf eine Art Ehe einlassen. Aber wir waren uns unserer Sache sicher und es gab überhaupt keinen Zweifel, dass man sich gegenseitig so gut kennt, dass das passt. Wir ticken zwar ähnlich, sehen aber nicht alles deckungsgleich und können uns auch die Meinung sagen. Dennoch finden wir immer einen gemeinsamen Weg der Umsetzung. Die gesamte Finanzierung lief daher letztlich sehr entspannt ab. Sicherlich auch deswegen, weil uns unsere Hausbanken auch gekannt haben. Die haben uns über Jahre begleitet und eine Entwicklung in jedem Einzelunternehmen gesehen und wussten, was hinter jedem Einzelnen steht.

Wie viele ehemalige Egger-Mitarbeiter haben sie gewinnen können?
Dominic Zengerle: 19 Mitarbeiter in 2017. Insgesamt umfasst unser Betrieb mittlerweile 29 Personen.

Wie bitte?
Dominic Zengerle: Ja, klingt unglaublich, aber um die nächste Frage gleich vorwegzunehmen. Die gesamte Situation hatte dermaßen an Dynamik angenommen und entwickelte sich ähnlich wie ein Lauffeuer. Ein jeder von uns musste sich ja entscheiden. Wir als Arbeitgeber, aber auch jeder einzelne Mitarbeiter für sich. Zunächst eröffneten wir Wangen, dann Lindenberg und im Oktober 2017 dann das Geschäft hier in Kempten. Letzteres war nicht einmal unsere Intention. Aber nachdem andere ehemaligen Egger-Mitarbeiter gesehen haben, dass das funktioniert, kamen Sie auf uns zu und baten uns diesen Schritt zu überlegen. Das haben wir dann auch gemacht.

Christoph Riederer: Natürlich mussten wir die eine oder andere Hürde noch nehmen, da die alten Arbeitsverträge der Egger-Mitarbeiter kurz vor dem Verkauf verändert wurden. Häufig wurden Wettbewerbsverbote verankert, was dazu führte, dass das Arbeitsgericht den Sachverhalt prüfen musste.

Hatten Sie nicht auch einmal den Gedanken, was passiert, wenn das Manöver nicht klappt?
Christoph Riederer: Selbstverständlich. Vor allem im letzten Juni durch die Angelegenheit beim Arbeitsgericht. Schließlich gingen wir alle davon aus, dass ein Großteil der Wettbewerbsverbote unwirksam sei. Der Arbeitsrichter stellte jedoch fest, dass zwei Mitarbeiter an ihren alten Standorten nicht arbeiten durften. Entsprechend waren wir gezwungen, die Mitarbeiter an den Standorten auszutauschen. Die aus Wangen gingen nach Lindenberg und umgekehrt.

Dominic Zengerle: Das, obwohl wir im Vorfeld relativ sicher waren. Sonst hätten wir diesen Vorschlag niemals unterbreitet. Auch wären die Mitarbeiter darauf wahrscheinlich nicht eingegangen. Letztlich aber erfolgte die Lösung des Problems durch die Mitarbeiter selbst, indem sie den Vorschlag für einen gegenseitigen Austausch selbst lieferten.

Wurde das in der Region beäugt?

Dominic Zengerle: Des Öfteren bekam man schon zu hören, dass wir das nicht schaffen. Kaum einer konnte sich vorstellen, dass aus dieser Position heraus eine derartige betriebliche Vergrößerung überhaupt möglich ist. Vor allem in einem solchen Tempo. Doch wir haben uns von Anfang an auf uns selbst konzentriert und uns von niemand beirren lassen.

Christoph Riederer: Dennoch gab es Momente, die uns aufgrund irgendwelcher Gerüchte innerlich aufgeregt haben. Beispielsweise, dass wir irgendeinem Hörgeräte-Hersteller gehören würden. Das sind alles nur Gerüchte, weil manche offenbar nicht glauben können, dass so eine Entwicklung in sechs Jahren möglich ist. Dass es nicht so ist, kann man problemlos im Unternehmensregister nachlesen. Solange aber unsere Leute die Fakten kennen, können andere über uns denken, was sie möchten. Das wird uns von unseren Weg nicht abhalten. Was zählt, ist, ob wir gut und stark sind und dabei etwas bewegen können.

Eine letzte Frage: Spielt es für Ihr Unternehmen eine Rolle, das es teils in Baden-Württemberg, teils in Bayern ansässig ist?
Christoph Riederer: (lacht) Natürlich wird gerne mal untereinander gefrotzelt. Allerdings mehr über Fußball als über anderes. Doch Spaß bei Seite. Ich glaube, es ist so, wie ich anfangs sagte: Wir ergänzen uns sehr gut. In unserer Denkweise und in unserer Herangehensweise verfolgen wir zwar unterschiedliche Ideen, aber wir kommen immer wieder auf einen Nenner. Er kennt sich im Allgäu aus, ich im oberschwäbischen Markt. Sofern jeder seine Stärken aus seiner Region miteinbringt, wird ZR Hörsysteme meiner Meinung nach noch viele erfolgreiche Jahre vor sich haben.

Meine Herren, wir bedanken uns für das Gespräch!