Hörgeräte Nibelungen und das 3D-Druck-System: Ein Gespräch mit Savvas Ioannou

Der junge Hörakustikmeister Savvas Ioannou (33) führt gemeinsam mit seiner Schwester Angelika zwei Fachgeschäfte: Nibelungen Hörgeräte. Innerhalb weniger Jahre haben sie sich in Braunschweig einen Namen gemacht, weil beide konsequent ihren Weg verfolgen. 

Veröffentlicht am 15 November 2017

Hörgeräte Nibelungen und das 3D-Druck-System: Ein Gespräch mit Savvas Ioannou

Mit Eröffnung des zweiten Geschäftes entschlossen sie sich, in ein 3D-Druck-System zu investieren und versuchten auch hier etwas Neues: 3D-Druck mit Pro3dure.

Herr Ioannou, gemeinsam mit Ihrer Schwester Angelika führen Sie die beiden Fachgeschäfte Nibelungen Hörgeräte. In beiden stehen Ihnen lediglich zwei Anpassräume zur Verfügung und dennoch haben Sie sich Anfang 2016 ein 3D-Drucksystem gekauft. Weshalb?
Da spielen mehrere Gründe mit rein. Unabhängig davon, dass ich den audiologischen Mehrwert einer Otoplastik sehr schätze, ist es sicherlich so, dass ich zu den Bastlertypen gehöre und mir das Erstellen von Otoplastiken schon immer große Freude bereitet hat. Nachdem meine Schwester Angelika 2013 das erste Geschäft im Mittelweg aufgebaut hatte und wir uns gemeinsam entschlossen, hier im Stadtteil Querum eine zweite Filiale zu eröffnen, war klar, dass ein Printer von Anfang an mit dazu gehören würde.

Ist Ihnen die otoplastische Anbindung ans Ohr so wichtig?
Extrem wichtig. Wir haben exakt drei Personen in unserem gesamten Kundenstamm, denen wir keine Otoplastik ermöglichen konnten. Das liegt aber schlichtweg daran, dass die Ohren so eng waren, dass sowohl wir als auch sämtliche Labore einsehen mussten, dass das nicht machbar ist. Sofern der Kunde jedoch ein Hörsystem bei uns gekauft hat, verlässt keiner das Geschäft ohne Otoplastik. Da gibt es für uns auch kein wenn und kein aber. Provisorien werden nicht umsonst als solche bezeichnet. Entsprechend gehöre ich zu denjenigen, die der Meinung sind, dass Provisorien nicht die Qualität unseres Berufstandes widerspiegeln. So böse das klingt. Eine Insitu-Messung vornehmen und den Kunden am Ende mit einer Tulpe nach Hause gehen zu lassen, geht gar nicht. Akustiker, die so etwas machen, gehen aus meiner Sicht stümperhaft mit der Qualität ihrer Anpassung um. Ich kann so etwas dem Kunden gegenüber nicht verantworten. Ebenso kann ich das den anderen Kollegen gegenüber nicht verantworten.

Ist das nicht ein bisschen hart?
Nein, ganz und gar nicht. Schließlich investiert der Kunde nicht in eine Technik, um dann die gewonnen Vorteile auf den letzten zwei Zentimetern zu verlieren. Vor allem ist die ganze Thematik so undefiniert. Allein schon die Art und Weise, wie der Kunde das Provisorium einsetzt, erzeugt gehörige Unterschiede. Setzt er es tiefer, so kommt mehr an. Lässt er es weiter raus, dann kommt weniger an oder es ergeben sich Artefakte. Viele Kollegen verstehen das nicht. Ich reibe mir da die Hände und sage da bitte.

Wie schaffen Sie es, den Kunden von den Vorteilen einer Otoplastik zu überzeugen?
Indem wir es dem Kunden so erklären, wie es auch erklärt werden muss. Wir sind ein Handwerksbetrieb, dessen Aufgabe darin besteht, dem Kunden sowohl ein passendes Hörsystem, als eben auch eine gut sitzende Otoplastik zu bieten. Erst das stellt eine handwerkliche und meisterliche Leistung dar. Tulpen bzw. Provisorien hingegen haben eine andere Funktion. Sie helfen lediglich, dem Kunden mal spontan einen Eindruck mit einem Gerät zu ermöglichen. Oder etwa für eine Aktion nach dem Motto: Come in and go out. Dafür sind solche Provisorien ok, aber mehr auch nicht.

Nibelungen Hörgeräte

Viele Kollegen argumentieren immer wieder, dass sich die Anschaffung eines 3D-Drucker in einem kleinen Betrieb nicht lohnt. Wie sehen Sie das?

Für mich hat sich die Anschaffung auch in finanzieller Hinsicht positiv ausgewirkt, da auch die Kosten für eine Otoplastik durch den 3D-Druck deutlich gesunken sind. Wir haben mit unserem Existenzgründungsberater errechnet, dass unsere Kostenstruktur, also Material, Software, Arbeitszeit und alles andere, bei 9,95€ pro Otoplastik liegt. Dabei sind wir sogar noch von einem Meistergehalt ausgegangen, weil ich das ja selber mache. Wenn ich bedenke, dass ich vorher zwischen 25€ und 30€ gezahlt habe sowie Porto, Einpacken und Postweg rechne, dann ist der finanzielle Aspekt eher ein Argument für eine Anschaffung.

Wie viele Ohrpassstücke stellen Sie im Jahr her?
Ich müsste lügen und auf den Rechner schauen, aber ich denke, dass wir im ersten Jahr etwa 450 Stück produziert haben. Das ist deutlich mehr als geplant. Obwohl wir bei der Anschaffung nicht einmal von dieser Stückzahl ausgegangen sind, hätte sich der Printer damals schon nach 18 Monaten amortisiert.

Sie haben lange Zeit Ihre Otoplastiken noch selbst per Drucktopf hergestellt. Ist die Argumentation für eine Otoplastik beim Kunden durch den 3D-Druck leichter geworden?
Das ist der Punkt, den ich persönlich recht interessant finde. Viele Kollegen haben uns gefragt, was wir mit einem 3D-Drucker wollen. Kaum einer, der nicht gesagt hat, dass wir zu klein dafür sind und mit unserem Betrieb gar nicht den Durchlauf erzeugen können. Ich glaube, dass das eine Milchmädchenrechnung ist. Die rechnen natürlich die nackten Kosten für die Fertigung. Sie bedenken jedoch nicht, dass man Werbung damit machen kann und Kunden diese Leistung sehen und anfassen können. So etwas spricht sich herum. Wir hatten schon Ingenieure hier sitzen, die nur in ein Kundengespräch gehen wollten, wenn sie den 3D-Drucker zuvor sehen. Allein die Erklärung, wie dieser funktioniert, hilft schon, um schlussendlich einen neuen und überzeugten Kunden zu bekommen. Schon aus diesem Grund rechnet sich diese Sache. Doch nicht nur deswegen ist alles einfacher geworden. Der ganze Betriebsablauf ist viel schneller geworden. Wenn ein Kunde mich am Freitagnachmittag wegen einer defekten Otoplastik anruft, dann kann ich ihm innerhalb weniger Stunden weiterhelfen.

Wie haben Sie sich dem Thema angenähert?
Zum einen durch alte Kontakt, die ich noch aus Steinmeier-Zeiten besaß. Natürlich tauscht man sich ebenfalls mit Kollegen aus. Das meiste jedoch habe ich mir selbst beigebracht. Zumal es ein Thema war, das wie ein Gespenst dauernd im Raum schwebte. Begonnen habe ich mit Notizen; danach habe ich die verschiedenen Unternehmen abgearbeitet. Das war allerdings ein Prozess, der längere Zeit andauerte und von Pausen gekennzeichnet war. Vor allem zu den Kongressen wurde es immer wieder aktuell.

Haben Sie hinsichtlich des Biokompatibilitätsnachweises keine Bedenken gehabt?
Nein. Dennoch habe ich mich natürlich diesbezüglich bei der Bundesinnung informiert, um auf der sicheren Seite zu sein.

Auf welcher Grundlage haben Sie dann Ihre Entscheidung getroffen?
Die Entscheidung fiel letztlich über den Printer. Das war auf dem EUHA-Kongress 2014. Bundles oder Packages, wie es sie heute angeboten werden, gab es damals in der Form ja noch nicht. Dort aber lernte ich Dr. Klare von Pro3dure kennen. Unabhängig davon, dass ich zu jenem Zeitpunkt innerlich reif war und mich entscheiden wollte, konnte er mir Argumente liefern, in denen ich bis heute Vorteile sehe. Beispielsweise erzeugt die Art und Weise, wie Pro3dure vorgeht, relativ wenig Materialverlust. Entsprechend ist der Putzaufwand auch geringer.

Welche Rolle spielte das Argument, dass Pro3dure gleichzeitig Materialanbieter ist?

Das war definitiv ein Argument. Ich hatte zwar keine Erfahrung mit Pro3dure, wusste aber, dass es ein Materialhersteller ist. Da ich schon der Typ bin, der gerne alles aus einer Hand hat, und Dr. Klare mir damals alles andere, wie zum Beispiel die Software, ebenso zur Verfügung stellen konnte, wurde für mich gleich vieles einfacher. Bundles machen deshalb durchaus Sinn. Denn es macht keinen Spaß, sich als Selbstständiger alles zusammensuchen zu müssen. Auch hat man die Zeit dafür nicht.

War es nicht ein Risiko auf ein Start-Up-Unternehmen zu setzen? Schließlich ist Pro3dure eines …
Sicherlich war da auch ein Risiko. Doch wenn man in diese Richtung denkt, dann dürfte man anderen Existenzgründern ebenso keine Chance geben. Solange für mich alles stimmt und ich überzeugt sein kann, dass ein Newcomer sein Herz und seine Seele da reinsteckt, dann ist dieses Risiko zwar existent, aber es geht gen null. Denn meistens kann man davon ausgehen, dass diese Unternehmen nicht alles aus reiner Profitgier machen. Solche Unternehmen müssen nämlich viel stärker hinter ihrem Produkt stehen als große. Ich jedenfalls bereue meine Entscheidung keinesfalls.

Mit welchen Materialien haben Sie gearbeitet, als sie noch täglich den Drucktopf nutzten?
Als ich noch mit Drucktopf gearbeitet habe, nutzte ich sowohl weiches, als auch hartes Material. Damals verwendete ich ausschließlich Material von Egger, die ich über zwei Ecken kannte. Der persönliche Kontakt und die Qualität der Egger-Materialien hatten mich stets überzeugt und ich war immer zufrieden.

Haben Sie bei den Materialeigenschaften Unterschiede feststellen können?
Wir benutzen nun tatsächlich seit dem ersten Tag ausschließlich das Material von Pro3dure. Dabei haben wir zu Beginn zwei unterschiedliche Typen getestet. Ein härteres und ein weicheres Material. Schlussendlich haben wir uns für das Härtere entschieden, weil wir damit besser zurechtgekommen sind. Einen anderen Vergleich besitzen wir nicht, aber ich kann Ihnen garantieren, dass wir sehr glücklich damit sind und es funktioniert. Vor allem sind die Kunden sehr zufrieden damit und auch haben keinerlei Probleme. Wie heißt es so schön: never change a running system. Entsprechend wird so schnell kein anderes Material ins Haus kommen.

Wie gehen Sie das Thema weiche Otoplastiken an?
Gar nicht. Wir stellen ausschließlich Otoplastiken aus hartem Material her. Wenn wir wirklich eine weiche Otoplastik brauchen, dann geht das in ein Labor.

Wäre das anders, wenn auch weiche Otoplastiken via 3D-Druck hergestellt werden könnten?
Ja, dann wäre ich definitiv mit dabei. Ich weiß ja, dass einige Labore die Schale drucken und dann mit Silikon ausspritzen. Allerdings hatte ich noch nicht die Möglichkeit, mit Dr. Klare darüber zu reden, ob das das mit seinem Material ebenso funktioniert. Von daher wäre das der erste Schritt in die Richtung, um das einmal selbst zu machen. Gerade das weiche Material ist bei der Versorgung hochgradig Schwerhöriger sehr wichtig. Die brauchen wirklich Hilfe, wenn eine Otoplastik reißt oder pfeift. Hier eine Möglichkeit zu besitzen, schnell mit einer Neuen zur Hand zu kommen, wäre gerade für diese Gruppe ein großes Geschenk.

Erkennen Sie einen Unterschied zwischen gängigen Materialien und denen von Pro3dure?
Sie meinen im Vergleich zu dem, was ich es vorher per Hand gewohnt war? Nein. Die Materialien von Pro3dure haben in jedem Fall das Niveau gängiger Marktanbieter. Und ganz ehrlich? Es ist überall so, dass sich mal die Zusammensetzung einer Flasche ein wenig unterscheidet. Bei Trays, wie ich sie jetzt geliefert bekomme, ist das nicht anders. Auch die unterscheiden sich immer ein wenig. Doch ich sage immer, dass wir alles Menschen sind, die die Maschinen bedienen. Entsprechend können sich Zusammensetzungen auch unterschiedlich gestalten. Da kann immer etwas passieren. Ob die Temperatur nicht stimmt oder die Abfüllanlage mal ein Problem hat. Es ist aber in jedem Fall nicht so, dass das alles überhandnimmt. Weder damals mit Egger, noch jetzt mit Pro3dure.

Wie lange haben Sie gebraucht, um sich mit dem 3D-Druck-System einzuarbeiten?

Ich war überrascht, wie reibungslos das Einarbeiten in die Software geklappt hat. Das ging wirklich schnell. Das, obwohl ich nie ein Gamer war. Die 3D-Mouse beispielsweise war etwas absolut neues für mich. Mag daran liegen, dass ich selbst vorher gefräst habe.

Verstehe ich das richtig? Sie haben nie eine Schulung in Anspruch genommen?
Nein. Ich habe es mal im Rahmen der biha-Fahrten nach Jordanien und Katar ausprobiert. Das waren vielleicht mal 20 Minuten. Als ich in Dortmund bei Pro3dure das Gerät abgeholt habe, sind wir die Vorgänge in der Theorie durchgegangen, aber ich habe keine CAD-Schulung genommen. Ich habe mich hingesetzt und es in Ruhe ausprobiert. Mehr nicht. Klar habe ich dabei die ersten Male auch Bockmist gebaut. Und natürlich hat alles nicht nach fünf Minuten funktioniert. Doch alles in allem ging es gut von der Hand und ich bin der Meinung, dass das alles nicht so schwer ist. Das ging so weit, dass man sogar in Lübeck davon Wind mitbekommen hat und man mich fragte, ob ich denn Schulungen übernehmen wolle. Leider fehlt mir die Zeit dazu.

Wie oft nehmen Sie noch die Fräse in die Hand?
Regelmäßig. Allerdings nicht, weil es absolut notwendig wäre. Mit dem Pro3dure Printer könnte man tatsächlich alles so drucken, dass eine Nachbearbeitung kaum bis gar nicht notwendig wäre. Aber wenn man eher der Typ ist, der sich gerne auf die eigene handwerkliche Leistung als auf einen Computer verlässt, dann neigt man auch dazu, kleine Abänderungen lieber per Hand vorzunehmen.

Warum?
Weil wir tatsächlich immer noch ein, zwei Sachen im Nachhinein abändern. Man sieht sehr viel über die CAD-Software. Man sieht jedoch nicht alles. Aus diesem Grund gehen wir prinzipiell mit Sandelpapier nochmals drüber, um wirklich alles so schön zu ziehen, wie wir es haben möchten. All das dauert ja nur eine Minute. Das ist auch der Grund, weshalb wir auch all unsere Otoplastiken ausschließlich matt lackiert herausgeben.

Setzen Sie ihren 3D-Drucker auch marketingtechnisch ein?

Na klar, beispielsweise haben wir gerade einen Imagefilm dazu gemacht, der demnächst auf unserer Homepage zu finden sein wird. Das zu verstecken, wäre ein Fehler. Viele in der Region kennen den 3D-Druck aus der eigenen Berufslaufbahn. Ob das nun die Technische Universität ist, die hier um die Ecke seit Jahrzehnten mit 3D-Druckern arbeitet, Volkswagen oder die verschiedene Zulieferer. Das sind ja alles potentielle Kunden, weil jemand, der 3D-affin ist und jahrzehntelange damit gearbeitet hat, die Vorzüge dieser Technik kennt.

Sie sind unter dem Strich der Meinung, dass durch den Umstieg auf den 3D-Druck die Qualität ihrer Otoplastiken gestiegen ist?
Ohne Einschränkung ja. Sowohl die Anpassqualität, als auch die Qualität der Otoplastikfertigung sind definitiv besser geworden. Wenn wir so weiter machen, die richtigen Leute finden und einstellen, dann bin ich sicher, dass uns qualitätsmäßig in der Region keiner mehr einholen kann. Davon bin ich überzeugt und genau dorthin will ich. Denn ich will auch eines Tages sagen können, dass ich das für mich und vielleicht auch ein Stück weit für die Branche erreicht habe. Ich bin 33. Da sind ja noch ein paar Jahre Zeit.

Heute sind 3D-Drucker in Hörakustik-Betrieben eher die Ausnahme. Wird das in zehn Jahren der Standard sein?
Ich bin mir da relativ sicher. Auch, weil für mich bereits heute ein Betrieb ohne 3D-Drucker eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn es ein einzelner Betrieb ist, dann kann man darüber nachdenken, ob man sich das Thema antun möchte. In einem Punkt bin ich aber felsenfest überzeugt: Wir merken schon jetzt mit unseren zwei kleinen Betrieben, wie viel Feuer in diesem Thema steckt. Mir wäre es deshalb auch lieber, dass die PräQ darauf achten würde, dass mit einem 3D-Drucker gearbeitet wird, als darauf zu achten, dass da drei Abdruckmaterialien stehen. Manchmal aber muss man die Leute auch zu ihrem Glück zwingen.

Herr Ioannou, wir danken Ihnen für das Gespräch! 

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