Hördesign für Kunden mit besonderem Anspruch

In Weiterstadt bei Darmstadt eröffnete die Hörgeräte Bonsel GmbH im Mai ihre neueste Filiale. Bereits die Namensgebung zeigt, dass „Hördesign“ nicht irgendeine Filiale ist. Sie verspricht ihren Kunden einen besonderen Service: „diskretes Hören“. 

Veröffentlicht am 12 September 2017

Hördesign für Kunden mit besonderem Anspruch

Was ist unter diskretem Hören zu verstehen? Und weshalb hat Geschäftsführer Andreas Veltman ausgerechnet seine neueste Filiale mit einem 3D-Drucksystem ausgestattet? Audio Infos schaute nach.

Wenn es korrekt ist, was Hörsystemhersteller, Studien oder Experten sagen, dann legt ungefähr jeder fünfte Hörsystemträger Wert darauf, dass sein Gerät dezent und diskret ist. Begrifflichkeiten, hinter denen eine schöne und galante Umschreibung dafür steckt, dass ein Hörsystem zunächst einmal unauffällig und unaufdringlich sein soll. Und weil die beiden Fremdwörter seriöser und besser klingen, lieben die Marketingabteilungen die beiden Begriffe dezent und diskret. Vertraut man dem Duden, so ist das auch nicht falsch, diese in synonymer Weise zu verwenden. Doch im Grunde genommen greift einer dieser lateinischen Begriffe eigentlich viel zu kurz. Die discretio.

Während die decentia die Schicklichkeit und den Anstand einer Person umschreibt, woraus sich schnell unauffällig und unaufdringlich ableiten lässt, ist discretio ein kompliziertes Wort. Denn wie jeder weiß, ist es mit der Diskretion so eine Sache. Wer diese wahrt, verpflichtet sich im Geschäftsleben zunächst zu Verschwiegenheit sowie Vertraulichkeit; im Privatleben hingegen zeigt man aber mit Diskretion Takt und Rücksichtnahme. Für Benedikt von Mursia, Gründer des allerersten Benediktiner-Ordens und aufgrund seiner regula benedicti* verehrt in der katholischen, armenischen und orthodoxen Kirche, ist die discretio sogar die Mutter aller Tugenden*. Er, wie auch später Hildegard von Bingen, verstanden unter discretio nämlich „eine maßvolle Unterscheidung aller Zeugnisse“. Entsprechend leitet sich Diskretion von dem lateinischen Verb discernere ab, das mit (unter)scheiden und trennen wiedergegeben werden kann, aber ebenso schmücken, auszeichnen oder erkennen bedeutet. Was darf also ein Kunde unter einer diskreten Hörversorgung erwarten? Eine, bei welcher der Kunde ausschließlich ein unauffälliges Hörsystem erhält und sich der Verschwiegenheit und der Vertraulichkeit des Hörakustikers sicher sein kann? Oder gehört zu einem diskreten Hörsystem doch mehr?

Sandra Wallat modelliert eine Im-Ohr-Schale

Ein Betrieb, der sich diese Frage ausführlich stellte, ist kein unbekannter in der Hörbranche: die Hörgeräte Bonsel GmbH und stellvertretend für diese ihr Geschäftsführer Andreas Veltman. Er entschloss sich etwas umzusetzen, vom dem unsere Redaktion schon lange überzeugt war, dass es irgendwann kommen würde – wenn auch nicht so schnell. Die Anschaffung eines 3D-Drucksystems, um damit ausschließlich individuell gefertigte Im-Ohr-Systeme im eigenen Betrieb herzustellen. Eingebettet ist das Ganze in einem Konzept, bei dem Diskretion eine große Rolle spielt.

Potenzielle Kunden auch überregional ansprechen
Sicherlich wäre es auch möglich gewesen, den Printer in einer der bestehenden Filialen mit zu integrieren. Doch das kam für Andreas Veltman von Anfang an nicht infrage. Er glaubt, dass sich das zu sehr mit der Idee gebissen hätte: „Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil wir mit unserem Konzept eine ganz spezielle Zielgruppe ansprechen wollen. Kunden, die Diskretion schätzen und auf eine unauffällige, individuell gefertigte Hörlösung Wert legen. Entsprechend können sie zusehen, wie ihr Hörsystem entsteht. Der große Vorteil dabei ist, dass der Kunde das Ergebnis auch innerhalb eines Tages in den Händen hält“, erklärt Andreas Veltman das zentrale Ziel von Hördesign.

Damit die Kunden auch den Weg zu Hördesign finden, suchte Andreas Veltman einen Ort aus, an dem man zunächst kein Hörakustikfachgeschäft vermuten würde. In einem Gewerbegebiet in Weiterstadt bei Darmstadt. Das bietet eine Menge Vorteile; davon zumindest ist Andreas Veltman überzeugt: „Zum einen ist Hördesign schnell und weiträumig erreichbar. An der A5, die nur wenige Meter von hier entlangführt, liegt es so günstig, dass wir Kunden mit einem PKW auch überregional ansprechen können. Ob dieser aus Mannheim, Frankfurt, Mainz oder Aschaffenburg kommt. Der Zeitaufwand, um hierher zu finden, bleibt überschaubar. Der andere Vorzug besteht darin, dass die Kunden das Gefühl besitzen, nicht gesehen zu werden.“ Das sei deshalb so wichtig, da Menschen, die auf der Suche nach einem diskreten Hörsystem sind, auch oftmals nicht wollten, dass ihr Umfeld von der Hörversorgung Kenntnis nimmt.
Entsprechend unscheinbar sieht Hördesign, das innerhalb von vier Wochen eingerichtet wurde, von außen aus. Nichts weist darauf hin, dass hier Hörsysteme angepasst werden. Lediglich das elegant gestaltete Hördesign-Logo mit dem kleinen Hinweis „diskretes Hören“, das auf einem Schild und auf Fahnen zu erkennen ist, deutet darauf hin. Selbst das Parken ist bei Hördesign eine Frage der Diskretion. Andreas Veltman sorgte dafür, dass Kunden, die nicht direkt vor dem Geschäft parken möchten, einen Parkplatz des benachbarten Media Markts belegen dürfen.

Nachdem Sandra Wallat den Druckjob importiert und den 3D-Drucker eingestellt hat, dauert es etwa 45 Minuten, bis …

Auch innerhalb des Geschäftes erinnert zunächst nichts an ein klassisches Hörakustikfachgeschäft. Vielmehr kommt der Gedanke eines modernen Juweliers hoch. Denn neben der „Lounge“ – einem sehr gemütlichen Wartebereich mit Café-Bar, das sich rechterhand erstreckt – und einem großzügig gestalteten Servicebereich erblickt der Besucher im ersten Moment einen großen weiten Raum mit einer Vitrine, in der Hörschmuck ausgestellt ist. „Hörschmuck ist die logische Ergänzung in unserem Sortiment. Ob elegante Ohrringe, oder Tunnel-Schmuck, wir bieten ein breites Sortiment an Hörschmuck an. Zusätzlich sind auch individuelle Schmucklösungen möglich“, so Andreas Veltman.

Hintendran: eine gläserne Werkstatt mit einem nagelneuen 3D-Drucker. Diesen bekommt jeder Kunde zu Gesicht. Denn an der gläsernen Werkstatt kommt jeder Kunde automatisch vorbei, wenn er in den auf höchsten Standard eingerichteten Anpassraum gelangen will. „Auch wenn die Idee einer diskreten Hörversorgung nicht gänzlich neu ist, das Konzept, so wie es hier steht, trage ich mindestens fünf Jahre mit mir im Kopf. Ziel war, ein modernes und gemütliches Ambiente zu schaffen, bei dem der Kunde neben der Diskretion vor allem eines erhält: eine Hörversorgung innerhalb eines Tages. Eines leuchtet mir nämlich immer ein. Welcher Kunde geht gerne nach Hause und wartet dort Wochen auf sein Hörgerät? Die meisten werden doch in diesem Zeitraum erst überlegen, ob sie das Gerät wirklich brauchen oder wo dieses billiger erhältlich ist. So bekommt er sein individuell zugeschnittenes Hörsystem gleich mit und hat gleich Spaß dran“, erklärt Andreas Veltman.

… sie die Schalen herausholen kann. Rechtes Bild: Jetzt müssen die Otoplastikschalen noch biokompatibel gemacht werden

Währenddessen gesellen sich Theresa Bonsel, Enkelin des Gründers, und Filialleiterin Sandra Wallat dazu. Sie kommen, um das neue 3D-Drucksystem zu präsentieren, das sich hinter der gläsernen Wand versteckt. „Es wäre schön gewesen, wenn wir eine Möglichkeit gefunden hätten, den 3D-Drucker so zu zeigen, dass man hinter dem Glas sehen kann, wie er druckt. Das ging leider nicht. Deswegen schauen wir gerade nach einer Möglichkeit, dass man es über Monitore visualisieren kann“, klärt Theresa Bonsel auf. Damit sich Audio Infos überzeugen kann, dass die Herstellung eines IdOs innerhalb weniger Stunden möglich ist, macht sich Sandra Wallat sofort an die Arbeit und schnappt sich einen Abdruck, den sie am Morgen vorbereitet hat.

Hier wird noch mal anders auf die Abformung geschaut
Sandra Wallat ist eine erfahrene Hörakustikmeisterin mit einem großen Faible für Otoplastiken. Doch obwohl sie den Betrieb in- und auswendig kennt, ist für sie vieles neu. Der Printer, die Art zu arbeiten, die Kundenklientel, aber auch der Arbeitsort, „Ich bin schon lange bei Hörgeräte Bonsel angestellt und war schon mit vielen unterschiedliche Aufgaben im Unternehmen betraut. Vor drei Jahren hat es mich dann aus privaten Gründen in den Süden gezogen. Aber als mir Andreas Veltman und Theresa Bonsel von dem Vorhaben erzählten, war ich Feuer und Flamme für das Projekt und zögerte nicht lange mit meiner Zusage“, erinnert sich Sandra Wallat, während sie die Abformung bearbeitet und einscannt.

Danach beginnt sie mit dem Modellieren. Nachdem die Hörakustikmeisterin die Software geöffnet hat, füttert sie diese mit ein paar Eckinformationen. Zunächst wählt Wallat die Technikstufe aus, dann das Faceplate, fügt Hörerform und Wirelessspule hinzu und bestimmt nicht zuletzt auch die Bohrung. Anschließend importiert sie den Abdruck. Auf die Frage, ob sich mit der neuen Tätigkeit der Stellenwert eines Abdruckes für sie erhöht habe, antwortet Sandra Wallat: „Ich denke, ich hatte immer schon sehr hohe Ansprüche, was den Abdruck betrifft. Denn eine tiefe und saubere Abformung gehörte bei uns stets dazu. Aber ich würde schon sagen, dass ich jetzt noch einmal anders auf eine Abformung schaue. Man merkt auf einmal, mit welchen Problemen sich die Hersteller manchmal herumschlagen müssen; wenn sich etwa eine winzigste Falte auftut.“

Im nächsten Schritt schneidet sie Teile der Abformung zielsicher ab und erklärt dabei jedes einzelne Detail. Das, obwohl Wallat bis Anfang des Jahres noch nie über eine Software eine Otoplastikschale erstellt hatte. Erst im Februar besuchte sie einen Herstellerlehrgang. Der, sagt Wallat, genügte ihr bis heute völlig, auch wenn sie einschränkt. „Zu Beginn prasselt viel auf einen ein und man braucht eine Zeit, bis man sich am Anfang gewöhnt hat, auf diese Weise zu arbeiten. Denn ständig kommt etwas Neues hinzu. Das Grundprinzip des CAD-CAM Systems erlernt man aber recht schnell.“

Nachdem sie Gehörgang bearbeitet und die Schallausrichtung bestimmt hat, fügt sie einen Step-Vent hinzu. „Da steckt wieder ein wenig Philosophie mit drin. Ich arbeite gerne mit einem Step-Vent, weil ich für mich festgestellt habe, dass der Kunde viel schneller akzeptiert, wenn etwas weniger Material dabei ist. Nicht in dem Sinne, dass es offener wird. Wenn ich aber vorne und hinten ein wenig Masse wegnehme, dann ist das Ohr nicht so zu und für den Kunden spürbar angenehmer.“

Nach ein paar weiteren Minuten mit der einen oder anderen Abrundung, die vorgenommen werden musste, sowie dem Justieren der Technik in der Software ist Sandra Wallat fertig. Nun leitet sie den zweiten wichtigen Schritt ein. Sie startet die Cambridge-Software, um den Support für die Otoplastikschale vorzubereiten. „Ich muss jetzt hier einen neuen Job erstellen, sprich eine neue Plattform, und wähle die Maschine an. Dabei achte ich natürlich darauf, dass die Farbe und die Belichtungszeit stimmen“, fährt Wallat fort, um danach zu zeigen, wie Supports generiert werden. Erst wenn diese stehen, kann auch der Druckjob gestartet werden.

Es wird immer Kunden geben, die eine IdO-Versorgung wünschen
Eine knappe Stunde später ist es so weit. Die Schalen sind fertig. Damit diese biokompatibel werden, löst Sandra Wallat die Schalen vorsichtig von der Druckerplatte, reinigt sie und lässt diese als letztes aushärten. Danach kann sie die Technik verbauen und legt kurz eine Batterie ein, um das Hörsystem auf interne Funktionen und Rückkopplungen zu überprüfen. Das unangenehme Quietschen und Piepsen des Hörsystems, das plötzlich zu vernehmen ist, stört die Hörakustikmeisterin beim Programmieren jedoch nicht.

Danach folgt das Verkleben. Vorsichtig kontrolliert Wallat, ob die Technik richtig liegt und nichts zerquetscht wird, bevor die Schale zugeklebt wird. Mit einem Skalpell schneidet sie das Ende des Hörerschlauches ab und schiebt das letzte Überbleibsel in das Gerät rein, damit der Filter noch draufpasst. „Den Hörerschlauch richtig zu verkleben, ist unheimlich wichtig und ist auch der Punkt, an dem die meisten Fehler passieren können. Etwa wenn sich der Hörer verschiebt oder durch Zufall ein Loch in den Schlauch hineingepikst wird, so dass ein akustisches Leck entsteht“, erklärt Wallat noch, bevor sie sich heranmacht, um den vorletzten Schritt einzuleiten.

Für Hördesign suchte sich Andreas Veltman einer besonderen Ort aus: ein Gewerbegebiet in Weiterstadt, nahe einer Ausfahrt der A5

Nachdem sie die Faceplate getrimmt und geschmirgelt hat, bringt sie achtsam den Zugfaden an. Jetzt fehlt nur noch die Lackierung. Wenige Minuten später begutachten alle das Resultat. Während Sandra Wallat ihre Arbeit noch mit dem einen oder anderen kritischen Blick beäugt, sind sich die anderen im Raum ziemlich schnell einig. Das Ergebnis stimmt. „Wenn erst mal der Punkt erreicht ist, an dem wir so viele Geräte gefertigt haben, dass wir sagen können, dass wir die Erfahrung und das Wissen besitzen, dann werden wir auch schauen, dass wir unser Konzept noch besser abstimmen können. Noch wissen wir nicht, was einfach handzuhaben ist und wo viel Aufwand drinsteckt. Doch zu Beginn hätte ich nicht gedacht, dass die technischen Möglichkeiten so groß sind“, meint Andreas Veltman zum Schluss.

Das Grundkonzept soll aber so bleiben, wie es ist. Auf der einen Seite soll ein ansprechendes Ladenkonzept stehen, bei dem der Kunde sicher sein kann, dass Diskretion groß geschrieben wird. Auf der anderen Seite will Hörgeräte Bonsel auch alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen, um Kunden mit individuell hohen Ansprüchen transparent zu versorgen. „Wenn man sein ganzes Leben in der Hörakustik verbringt, dann weiß man, dass es fortwährend Kunden geben wird, die Im-Ohr-Geräte haben wollen. Ich fand es daher immer ein bisschen schade, dass Kunden nicht mitbekommen, welcher Prozess hinter einem Im-Ohr-Gerät steckt. Das hinzukriegen ist schon stark. Doch nun kommt ein weiterer unschlagbarer Vorteil hinzu. Weil wir direkt in das Ohr gucken können und das Ohr vor uns haben, können wir viel genauer sein und somit besser auf individuelle Gegebenheiten eingehen und sogar zwischendurch den Sitz der Schale testen. Ein Vorteil, um den uns Otoplastiklabore und IdO-Hersteller sicher beneiden.“

Eines lässt sich daher schon jetzt daraus ableiten, da die Hörgeräte Bonsel GmbH mit Hördesign einen Beweis liefert. Unabhängig davon, ob Kunden das Weiterstädter-Konzept künftig annehmen oder nicht; die Einsatzmöglichkeiten eines 3D-Druckers in Hörakustikfachgeschäften beschränken sich nicht nur auf die Erstellung einer Otoplastik. Es stellt sich daher nach wie vor die Frage, wie man den 3D-Druck in seinen Betrieb einbettet. Und was den Begriff Diskretion betrifft, so könnte man folgende Überlegung anstellen: Ein Hörgerät kann jederzeit dezent sein; Hörversorgung hingegen nicht. Sie ist höchstens diskret.

* Regula Benedicti, Kapitel 64, Regel 19;
www.benedektiner.de

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