Bad Homburg Calling

Einen kleinen Garten mit Vogelgezwitscher, ein kleines Wohnzimmer mit Kamin oder plätscherndes Wasser. Hören erlebbar zu machen und dabei den betroffenen Menschen neue Lebensfreude zu geben, das haben sich Matthias Leppert und Thomas Weidmann mit Gründung des Homburger Hörhauses auf die Fahnen geschrieben. Der erhoffte Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.

Veröffentlicht am 04 August 2017

Bad Homburg Calling

Wie will man arbeiten? Eine Frage, die sich viele im Laufe des Berufslebens des Öfteren stellen. Sicher, es mag Menschen geben, die eine Arbeit lediglich als „Job“ sehen, oder auch welche, die nur aufs Geld aus sind. Für die ist diese Frage eher unerheblich. Doch was für die einen keine Rolle spielt, ist für andere elementar. Denn viele ergreifen ihren Beruf, weil er Fähigkeiten voraussetzt, die sie als wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit betrachten. Entsprechend empfinden sie ihn als sinnstiftend und wollen wissen, wie, wo und wofür man arbeitet. Nicht selten wird daraus sogar Berufung. Wann aber kommt der Moment im Leben, an dem der Beruf auch wirklich zur Berufung wird?

Ein Gedanke, der mich währenddieses Beitrags nicht mehr los ließ. Viele Stunden recherchierte ich hierzu. Trotz einer Fülle an Informationen und Ratschlägen im Netz fand ich keine zufriedenstellende Antwort. Also fragte ich irgendwann meine Frau. „Spürt man das, wenn man einer Berufung folgt?“ Sie begann zu lachen. „Nein“, schallte es mir entgegen, „Das sieht man!“ Eine Antwort, mit der ich anfangs nicht viel anfangen konnte.

Auslöser dieser Überlegung war wieder einmal ein Besuch in einem Hörakustikfachgeschäft. Im Frühling erfuhr ich, in Bad Homburg seien zwei Hörakustikmeister zu Gange, die es wirklich verstehen würden, den Kunden mitzunehmen und in den Mittelpunkt zu stellen. Ein Satz, der kaum etwas aussagt, da ich diesen im Vorfeld eines Hörakustikfachgeschäft-Besuches nahezu jedes Mal höre. Dennoch fuhr ich nur wenige Tage später in den Taunus nach Bad Homburg.

Preisträger des hessischen Gründerpreises
Selbstverständlich hatte ich im Vorfeld zum Homburger Hörhaus recherchiert. Im Netz zu finden: Lobeshymnen an einem Band. Anfang Februar 2016 gegründet, erhielten die beiden Junginhaber, Matthias Leppert (41) und Thomas Weidmann (34), keine neun Monate nach Eröffnung den Hessischen Gründerpreis. Insbesondere „den innovativen Dienstleistungscharakter des Angebots, das ein Hörtraining, ein Heranführen an Hörerlebnisse und eine individuelle Beratung miteinander verbindet“ würdigte die Jury bei der Preisverleihung. Das in einem Wettbewerb, in dem in der Kategorie „Innovative Geschäftsidee“ branchenübergreifend 96 Bewerber aus ganz Hessen teilgenommen hatten. Nicht schlecht, dachte ich. Ein Gedanke blieb dennoch hängen: Was können Matthias Leppert und Thomas Weidmann schon auf die Beine gestellt haben, was ich in sieben Jahren Hörakustikbranche noch  nicht erlebt habe? Die Antwort fällt nach diesem Besuch eindeutig aus: Sehr viel!

Das beginnt schon mit der netten, fachgerechten Begrüßung. Es ist bereits nach 19.00 Uhr, als ich die Klingel des Homburger Hörhaus tätige. Eigentlich bin ich aufgrund einer Autobahnsperrung zwei Stunden zu spät dran und abgehetzt. Als ich jedoch bemerke, wie es trotz vorbeifahrender Autos im Laden blitzt und läutet, bin ich beruhigt. Mich begrüßt eine LISA-Signalanlage von Humantechnik. Zumindest überhört werden kann ich nicht.

Hinter der riesigen Glasfassade, die von weitem schon den Slogan „Hören erleben“ erkennen lässt, erstreckt sich ein großer und tiefer Raum. So befindet sich gleich hinter dem Eingangsbereich eine kleine Gartenbank, ringsherum geschmückt mit Blumen. Drei Meter links davon ein langgezogener Besprechungstisch. Zudem ist am Ende der Glasfront der Laborbereich zu erkennen. Ob Kunde im Laden oder Passant: die Handgriffe, die die beiden Hörakustikmeister in der gläsernen Werkstatt ausführen, kann jeder, der es möchte, genau nachvollziehen. Einen großen Unterschied zu anderen Fachgeschäften kann ich bis dahin aber noch nicht erkennen.

Nachdem das letzte Klacken des Türschlosses gefallen ist und mich Matthias Leppert begrüßt hat, erkenne ich beim Hereintreten vor jeder der drei Anpasskabinen eine Art Collage, auf denen dutzende unterschiedlicher Hörsysteme und Otoplastiken aufgebracht sind. „Falls Sie sich wundern, weshalb so viele Beispiele ausgestellt sind: Die hängen dort mit Absicht“, ist aus dem Hintergrund zu hören. Es ist Thomas Weidmann, der im Begriff ist, das bereits ausgeschaltete Licht wieder anzuschalten.

 

Den Kunden in den Mittelpunkt rücken

Kurz danach bemerke ich, wie insbesondere der Eingangsbereich mit den Hörsystemcollagen ausgeleuchtet wird. Kunden, beginnen beide zu erklären, bräuchten doch eine Grundlage, um entscheiden zu können, welches Produkt sie haben wollen und welches nicht. Schließlich gebe es auch in anderen Geschäften so etwas wie eine Produktübersicht. „Wir mögen den Vergleich zwar nicht. Sie gehen doch aber auch zu einem Optiker, bei dem Hunderte von Brillengestellen ausgestellt sind“, sagt Thomas Weidmann, während wir vor einer der Produktübersichten stehen.

Gerade diejenigen, die zum ersten Mal ein Geschäft aufsuchten, könnten oft nicht einmal eine Unterscheidung zwischen RIC, HdO, CIC oder einer Otoplastik vornehmen. Beiden sei es daher enorm wichtig, dass sich Kunden schon vor Eintritt in den Anpassraum ein Bild machen könnten. „Die erste Aussage, die vor allem der Erstkunde nach dem Vorlegen seines Hörsystems trifft, besteht doch meist aus einer halben Verwunderung. Wie? So sieht ein Hörgerät aus?“, argumentiert Matthias Leppert.

Sich für eine Farb- oder Formgebung zu entscheiden, könne man allerdings nur dann, wenn man direkt miteinander vergleichen könne. Selbstverständlich könne man nicht den gesamten Markt abbilden. Wichtig sei jedoch die Art der Herangehensweise. Denn Hörakustiker würden im Normalfall ihr ganzes Produktportfolio mit sich im Kopf herumtragen. Dies sei für den Kunden von außen aber nicht zu sehen. „Woher soll ein Kunde das wissen, wenn ich ihm zwei Geräte zur Auswahl hinlege und noch hinzufüge, dass noch acht Farben zur Verfügung stehen. So kann er es sehen, anfassen und auch mal gucken, wie es am Ohr aussieht“, begründet Matthias Leppert den großen Aufwand. Darüber hinaus werde dem Kunden dadurch auch deutlich, dass eine ordentliche Auswahl nur mit Beratung möglich ist.

Aus diesem Grund habe man auch verschiedene Böden mit in das Geschäft integriert, die unterhalb der Produkt- übersichten installiert worden sind. Die verschiedenen Trittflächen aus Parkett, Fliesen, Kacheln oder Linoleum seien zum einen eine Hilfestellung, damit Kunden erfahren, wie sich das unterschiedliche Klacken eines Stöckelschuhs mit dem neuen Hörsystem anhört. Zum anderen sei es auch ein tolles Instrument, den Kunden ins Zentrum des Geschehens zu rücken und mitzunehmen. „Es gibt so viele Kanäle, über die man sich heutzutage informieren kann. Entsprechend treffen wir tagtäglich auf Menschen, die über ein gewisses Halbwissen verfügen. Alle sprechen immer vom mündigen Kunden. Ein solcher Dialog ist jedoch nur möglich, wenn man die Grundlage hierfür so transparent wie möglich gestaltet und dem Kunden auf Augenhöhe begegnet“, erläutert Weidmann.

Ein Hörgarten
Deshalb sei die Idee einer Produktübersicht samt Trittschallflächen auch nur eines von vielen Instrumenten, die man dauerhaft nutzen wolle, um beim Kunden ein Bewusstsein zu schaffen. Ein weiteres Beispiel ist die Induktionsanlage, die im Fußboden des Homburger Hörhauses fest verbaut wurde, um Kunden zu zeigen, dass jedes Basisgerät über eine Ausstattungsfunktion verfügt, die in Sachen Inklusion angewendet werden kann. Entsprechend kann jeder während seines Aufenthaltes im Homburger Hörhaus Radio über seine T-Spule hören. „Obwohl Induktion eine der tollsten Funktionen ist, die seit Jahrzehnten zuverlässig funktioniert, und diese sogar vom Gesetz verlangt wird, wissen die meisten Kunden nicht, was Induktion überhaupt ist. Jetzt fragen sie“, freut sich Thomas Weidmann.

Zwar sei auch dies nur ein Mosaiksteinchen im gesamten Beratungsprozess. Aber genau das sei der Punkt, meint Matthias Leppert: „Unsere Kunden sehen, dass wir damit kein Geld verdienen. Sie merken jedoch, dass wir versuchen, ein Erlebnis zu bieten, dass ihnen das Gerät sowieso bietet. Nur weiß das im Vorfeld kaum einer.“

Stets achtgeben, was zwischen den Ohren passiert
Dass die beiden Jungunternehmer bei der Planung ihres Geschäftes nichts dem Zufall überlassen haben, bemerkt man ebenso am Hörgarten. Was einem anfangs als Dekoration vorkommt, entpuppt sich als Teststation. Denn im Hörgarten verstecken sich verschiedene Tiere und Außengeräusche, wie etwa das Bellen eines Hundes oder das Läuten einer Kirche, die mittels eines Stabes anvisiert und aktiviert werden können. „Als wir das Geschäft zusammen planten, bestand unsere zentrale Idee darin, ein Hörerlebnis zu kreieren. Jahrelang haben uns die Kunden erzählt, dass sich gewisse Geräusche unangenehm und laut anhören, und sie es gar nicht ertragen können. Wir wollten aus diesen Informationen etwas lernen und daraus etwas machen“, erklärt Matthias Leppert. Es sei nämlich ein Unterschied, ob der Kunde vor Ort ein Hörsystem etwa mit ein- oder ausgeschalteter Impulsschallunterdrückung ausprobieren könne oder nicht. Ansonsten riskiere man, dass der Kunde gewisse Unterschiede, die die Technik biete, nicht wahrnehmen könnte.

Matthias Leppert und Thomas Weidmann wollen jedoch nicht nur demonstrieren, welche Möglichkeiten die Technik von heute bietet. Denn die andere Seite einer guten Beratung bestünde darin, dem Kunden zeigen, welche Technik für diesen geeignet ist. Um ein mögliches Gerät bestimmen zu können, legt das Homburger Hörhaus entsprechend Wert auf eine umfassende audiometrische Untersuchung mit anschließender Insitu-Perzentil-Anpassung. „Nur subjektiv vorgehen, Knöpfchen drücken und fragen: Nun, wie ist es? Gut, schlecht, laut, leise und dann irgendetwas verändern, das gibt es bei uns nicht“, so Thomas Weidmann, der sich stets Gedanken macht, was zwischen den Ohren passiert. Denn dies herauszufinden, ergänzt Weidmann, sei ihre Kernaufgabe. „Ich kann das messen, was am Trommelfell anliegt. Das ist gut und sinnvoll, damit ich weiß, was mein Hörsystem für eine Leistung bringt. Ich weiß aber nicht, was zwischen den Ohren passiert und wie der Kunde in diesem Moment darauf reagiert. Es gibt kein einheitliches Vorgehen.“ Wie wichtig das ist, erkenne man auch daran, dass Kunden mit ähnlichem Hörverlust und ähnlicher Einstellung viel zu oft auch mit unterschiedlichen Ergebnissen ins Geschäft zurückkehrten.

Schritt für Schritt beginne ich die beiden nun langsam zu verstehen. Ob beim Thema Zubehör, das Leppert und Weidmann in Form eines Kaminzimmers verpacken, als auch bei Themen wie dem Hörtraining oder der otoplastischen Anbindung. Die Grundphilosophie läuft immer wieder auf das Gleiche hinaus: Dem Kunden zuzuhören und aus den gemachten Erfahrungen seine Schlüsse ziehen. „Wir haben versucht, alles anders zu machen, was sonst so üblich ist. Insgesamt gesehen ist es eine gute Realisierung unserer Idee. Wenn man die erste Bleistiftzeichnung nimmt, dann entspricht das Geschäft in Bezug auf Raumaufteilung und Einrichtung auch ziemlich genau dem, was wir zu Beginn im Kopf hatten“, erläutert Matthias Leppert.

Im November 2016 überreicht Jan Bach, Geschäftsführer bei der SYZYGY Deutschland GmbH, Matthias Leppert und Thomas Weidmann den hessischen Gründerpreis in der Kategorie „Innovative Geschäftsidee”

Die Ideen zuvor entwickelt und dann Hilfe ins Boot geholt

Mitzudenken und anders zu denken, sind also Begriffe, mit denen Leppert und Weidmann etwas anfangen können. Aus dem Vorgespräch weiß ich, dass beide jahrelang bei einem inhabergeführten Betrieb, Hörgeräte Brenninger, gearbeitet hatten. Deshalb möchte ich auch erfahren, was sie motiviert hat, sich auf eigene Beine zu stellen. „Unser ehemaliger Betrieb zeichnete sich dadurch aus, dass man selbständig arbeiten konnte. Jeder hatte seine Zuständigkeiten und besaß klare Aufgaben. Bei mir war das beispielsweise Krankenkassenabrechnung, die Pflege des IT-Systems“, beginnt Matthias Leppert zu erklären. Beide, erfahre ich weiter, wären vermutlich nicht auf den Gedanken gekommen, einen eigenen Betrieb zu gründen. Doch nach dem Verkauf ihres alten Arbeitgebers Hörgeräte Brenninger an eine große Filialkette habe sich zu viel geändert.

„Eigentlich wollten wir erst einmal bleiben und sind da völlig unbedarft hereingegangen. Wir wollten auf gar keinen Fall alles vorverurteilen und waren der Überzeugung, dass man alles gesehen haben muss, um es beurteilen zu können. Ausschließlich auf den Erfahrungen dritter zu bauen und jemandem deshalb eine Chance zu verwehren, ist nicht meine Sache“, so Matthias Leppert. Dass sich bestimmte Dinge im alten Betrieb ändern würden, sei beiden zwar klar gewesen. Dennoch sei recht schnell der Punkt gekommen, an dem sich beide fragten, inwieweit es überhaupt möglich ist, gut zu arbeiten, wenn man ein schmales Produktportfolio vorgegeben bekommt und zunehmend Freiheiten wegfallen. Thomas Weidmann und Matthias Leppert machten sich daher zunehmend Gedanken.

Letztlich wollten die heutigen Jungunternehmer nicht auf den Job eines Anpassers reduziert werden, der einen Termin nach dem anderen macht. „Einfach zu sagen, ich bin mit der täglichen Arbeit unglücklich, bringt nichts. Irgendwann muss man auch bereit sein, etwas zu ändern. Ein Gedanke war natürlich, sich wieder einen kleineren Betrieb zu suchen, der inhabergeführt ist. Doch wir haben schon immer miteinander gearbeitet und sind immer wieder angesprochen worden, ob wir uns nicht selbständig machen wollen. Klar, dass man das dann abends bei einem Bier bespricht und dabei auch Ideen entwickelt“, sagt Matthias Leppert.

Einige Wochen später fiel der Entschluss. Leppert und Weidmann vereinbarten einen Termin bei der Handwerkskammer und nahmen eine Unternehmensberatung in Anspruch. Dabei machten sie nicht nur die Erfahrung, dass ihre Idee positiv ankam. Die Handwerkskammer animierte sie sogar, am Gründerpreis teilzunehmen. „Das hat uns bestärkt, den Weg weiterzugehen und ehrgeizig weiter an dem Projekt zu arbeiten. Man schaut, wie sich die Dinge entwickeln und auf einmal merkt man, dass manche Dinge gar nicht so schlimm sind, wie sie anfangs erscheinen“, erinnert sich Thomas Weidmann an die Phase der Businessplanerstellung.

Anfang Juni konnte das Homburger Hörhaus nun auch auf dem Phonak-Zukunftsforum überzeugen und erhielt dort seine zweite Auszeichnung. Für ihr neuartiges Gesamtkonzept verlieh die Jury Matthias Leppert und Thomas Weidmann den Preis in der Kategorie Anpassung. Ein toller Rückenwind, wie beide einige Wochen später meinen. Doch trotz aller Anfangserfolge haben sich Leppert und Weidmann vorgenommen, mit den Füßen auf dem Teppich zu bleiben.

„Wissen Sie, wir haben gelernt, für höchste Qualität zu stehen und immer wieder mit Qualität zu werben. Diese umzusetzen, war und bleibt unser Ziel. Das wollten wir nie aufgeben und aus diesem Grund haben wir letztlich das Homburger Hörhaus gegründet“, sagt Matthias Leppert auf dem Zukunftsforum.

Im Grunde genommen hatte meine Frau Recht. Berufung sieht man. Bedauerlicherweise hat der Begriff in der deutschen Sprache eine starke historisch-religiöse Konnotation. In mancher Situation wirkt der Begriff gar schon kitschig. Viel pragmatischer geht da die englische Sprache heran. Denn wenn man sich von der deutschen Begrifflichkeit nicht ablenken lässt, dann merkt man recht schnell, dass der Amerikaner zwischen Job, Career und Calling unterscheidet. Der Job dient allein dem Lebensunterhalt. Wer Karriere machen möchte, strebt nach strukturellem oder finanziellem Aufstieg und zieht aus dem damit gewonnenen Status persönliches Selbstbewusstsein. Wer aber einem Calling folgt, also einer Berufung, trennt nicht zwischen Arbeit und Leben. Audio Infos meint daher: Bad Homburg Calling.

Die Gründer im Hörgarten